Herz-Schmerz

Die Meisterin des Happy End wird 150

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Wer ist der oder die erfolgreichste deutsche SchriftstellerIn? Die meisten Quizkandidaten – auch belesene – werden wohl selbst mit drei Jokern nicht so schnell auf die richtige Antwort kommen. Nein, kein Klassiker, kein(e) NobelpreisträgerIn. Vielmehr belächelt, beschimpft, diffamiert und von der Kritik erbarmungslos verrissen.

Lüften wir das Rätsel: Mit 208 Romanen war Hedwig Courths-Mahler die wohl produktivste und erfolgreichste deutsche Autorin. Bitte nicht gleich die Nase rümpfen – an ihrem 150. Geburtstag kann man ja wohl einmal daran erinnern. Respekt vor einer Frau, die als Ernestine Friederike Elisabeth Mahler und als ein „Kind der Schande“ am 18. Februar 1867 im Städtchen Nebra an der Unstrut geboren wurde und sich damit von der untersten sozialen Sprosse zur erfolgreichsten deutschen Schriftstellerin emporarbeitete.

Aufgewachsen bei verschiedenen Pflegeeltern, verdingt sie sich zunächst als Dienstmädchen und Vorleserin bei einer älteren Dame, wo sie mit Literatur in Verbindung kommt. Danach arbeitet sie als Verkäuferin in Leipzig und heiratet 1889 den fünf Jahre älteren Dekorationsmaler Fritz Courths. Bereits mit 17 Jahren hatte Hedwig ihre ersten Geschichten geschrieben, nachts, beim Schein einer Kerze. Nun aber muss der Haushalt und zwei Kinder versorgt werden, trotzdem frönt sie weiter ihren Ambitionen und schreibt heimlich am Küchentisch. 1904 erscheint dann im „Chemnitzer Tageblatt“ in Fortsetzungen ihr erster Roman Licht und Schatten. Endlich kann sie selbst die karge Haushaltskasse etwas aufbessern. In Chemnitz gehört sie zwar bald zur Lokalprominenz, aber sonst nimmt niemand Notiz von ihr. Um in der Reichshauptstadt schriftstellerisch Fuß zu fassen, unterschreibt sie bei einem Berliner Verleger, der ihre Notlage ausnutzt, einen Knebelvertrag: zehn Jahre lang muss sie jährlich mindestens drei Romane für je 100 Mark Honorar abliefern. Hedwig, inzwischen 38 Jahre, schreibt mit dem Mut der Verzweiflung und kommt erst durch den Tod des Verlegers aus dem Vertrag.

Vor dem Ersten Weltkrieg steigt die Zahl ihrer Romane von Jahr zu Jahr an – einige werden verfilmt und dramatisiert. Der große Durchbruch ist gelungen und damit auch ihr sozialer Aufstieg. Zur Zeit der Inflation verliert sie jedoch ihr erschriebenes Vermögen und sie muss ihre schriftstellerische Existenz von neuem aufbauen. Unermüdlich sitzt sie am Schreibtisch. So entstehen 1924 gleich zwölf neue Romane. Zeitungen und Zeitschriften reißen sich um sie, um ihren (vor allem weiblichen) Lesern den neuesten „Courths-Mahler“ zu präsentieren. Bei ihrer Leserschaft findet die Unermüdliche herzliche Aufnahme, die Kritik jedoch reitet boshafte Attacken, spricht von „Schundliteratur“ und „Geschmacksterror“. Das tangiert sie kaum und sie antwortet gelassen: „Ich habe nichts anderes getan als später der Film. […] Ich habe Märchen für große Kinder erdacht.“

Unter dem nationalsozialistischen Regime sucht Courts-Mahler zunächst den Kontakt zu den neuen Machthabern, stellt Anträge auf Mitgliedschaft in der „Reichsschrifttumskammer“ und im „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ und ist darüber hinaus, eigenen Angaben zufolge, „förderndes Mitglied“ der SS. Doch man ist an ihrer „Unterhaltungsliteratur“ nicht interessiert. Nach dem Krieg beginnt die fast 80-Jährige wieder mit dem Schreiben, doch die wiederauflebende Nachfrage nach ihren Romanen erlebt sie nicht mehr. Hedwig Courths-Mahler stirbt am 26. November 1950. Rund 30 Millionen Bücher zählte die Gesamtauflage bereits zu ihren Lebzeiten und bis heute sind es geschätzte 80 Millionen – obwohl ihre Romane weiterhin als „Kulturkitsch“ verdammt werden.

Warum nun diese Reminiszenz, wo doch Hedwig Courths-Mahler selbst freimütig bekannte, keine anspruchsvolle Literatur zu schaffen. Ihre Romane drehen sich ausnahmslos um die Liebe, die stets Schranken und Standesunterschiede überwindet. Ihre LeserInnen waren das Hausmädchen, die Köchin, die Verkäuferin – und nicht der Literaturkritiker. Diese Zeilen aus Respekt vor bewundernswertem Fleiß und einer außergewöhnlichen Lebensleistung.

Kein Bange, ich werde die Goethe-, Heine- oder Brecht-Ausgaben in meinem Bücherschrank nicht durch Das ist der Liebe Zaubermacht, Dein ist mein Herz oder Nur wer die Sehnsucht kennt ersetzen. Apropos Goethe: Der große Dichterfürst besaß vor 200 Jahren jedenfalls so viel Hochschätzung (oder Geschäftssinn), um als Weimarer Theaterdirektor die Erfolgsstücke (immerhin 85 in seiner Amtszeit) des heute unbekannten Dramatikers August von Kotzebue aufzuführen, wenn diese auch recht oberflächlich und seicht waren. Doch wie es so schön heißt: „Die Stücke von Goethe und Schiller füllten die Seelen der Menschen, Kotzebues Stücke dagegen die Theaterkasse“.