Hermann Hesses lebenslange Liebesaffäre mit dem Engadin

In „Engadiner Erlebnisse“ erzählen Briefe, Erinnerungen und Gedichte von Hermann Hesses späten Jahren und seiner Beziehung zu dem Ursprungstal des Inn

Von Felix HaasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Haas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sollte nicht gerade ein großes unentdecktes Werk gefunden werden, hat man normalerweise wenig Hoffnung auf eine neue Publikation von Autoren, die bereits ein halbes Jahrhundert tot sind. Im Fall von Herman Hesse haben wir es Volker Michels zu verdanken, dass 2013 eine kleine neue Publikation des 1962 verstorbenen Autors erschien. Hesses Engadiner Erlebnisse sind seit November nun auch als Taschenbuch bei Insel erhältlich. In dem kaum 150 Seiten langen Band sammelt Michels Briefe, Erinnerungen und Gedichte des Autors, und die einiger weniger seiner Freunde und Bekannten, welche Hesses Zeit im Schweizer Hochtal dokumentieren. Der Text wird von Hesses Aquarellen aus dem Engadin und schwarz-weiß Fotographien begleitet, die neben den Eheleuten Hesse auch Freunde wie die Familie Mann oder Theodor Heuss zeigen.

Verständlicherweise wird vor allem Montagnola im Tessin, wo Hesse seine zweite Lebenshälfte verbrachte, mit den Schweizer Jahren des Autors in Verbindung gebracht. Darüber hinaus jedoch waren neben ersten Jahren in Basel und Bern vor allem auch das Engadin, im Schweizer Kanton Graubünden, prägend für den Nobelpreisträger. Bereits mit 28 Jahren setzte Hesse erstmals seinen Fuß in das 80 km lange alpine Hochtal um St. Moritz. Nach mehreren Winteraufenthalten in den Folgejahrzehnten, waren es aber besonders seine späten Jahre, von 1949 bis 1961, ein Jahr vor seinem Tod, in denen er jedes Jahr einen Monat im Engadin verbrachte. In diesen Sommermonaten residierten er und seine Frau Ninon im Hotel Waldhaus in Sils Maria, unweit des Nietzsche-Hauses, wo über ein halbes Jahrhundert zuvor der Philosoph die Sommermonate der 1880er Jahre verbracht und hier zahlreiche seiner Werke verfasst hatte.

Während seiner Zeit in dem berühmten Hotel, welches nun alljährlich die Silser Hesse-Tage ausrichtet, verbringt der Autor seine Tage mit Wanderungen, Freunden, Zeichnungen und dem Schreiben. Wir erleben den älteren Hesse, wie er langsam müde werdend die kleinen Dinge anders erlebt als in seiner Jugend – „wie ein alter Liebhaber der Frau statt blinder Jugendglut und Jugendkraft mehr Zartheit, mehr Verständnis, mehr Dankbarkeit entgegenbringt.“ Weiter gesteht er uns, dass „zu den [ihm] wichtigsten Erlebnissen… nächst den menschlichen und geistigen auch die der Landschaft“ gehören. Im Engadin fand er sie alle drei, nachdem er alljährlich von Montagnola am Luganer See aufbrechend, am Westufer des Comer Sees entlang, die 1600 Höhenmeter zum Silsersee hinter sich gebracht hatte.

Hesses Romane und Erzählungen sind voller Lebenslust, voller Jugend und Möglichkeiten. Nach dem Erscheinen von Das Glasperlenspiel 1943, folgte jedoch in den letzten 20 Jahren seines Lebens kein weiterer Roman mehr. Spätestens 1946, mit dem Nobelpreis für Literatur, hatte Hesse Weltruhm erreicht, der durch die Wirkung seiner früheren Romane Siddhartha und Steppenwolf auf die Generation der 60er und 70er Jahre nach seinem Tod noch weiter wachsen sollte. Seine Engadiner Erlebnisse schildern das Refugium, welches das Engadin in den 50er Jahren für ihn darstellte. Wir erfahren von anderen Menschen, wie er sie beeinflusste und sehen die Naturverbundenheit und Sanftheit des alternden Schriftstellers selbst. Auch wenn Michels Sammelband für sich genommen nicht sonderlich spektakulär sein mag, füllt es für den Hesseliebhaber doch eine wichtige Lücke und wirft nicht nur neues Licht auf die letzten Jahrzehnte des großen Autors, sondern auch auf seine Liebe und sein Leben für und mit der Natur.

Titelbild

Hermann Hesse: Engadiner Erlebnisse. Erinnerungen, Gedichte, Briefe und Aquarelle.
Insel Verlag, Berlin 2020.
151 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783458681373

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch