Schwärzer als Schwarz

In „Gott Hassen“ lotet die hauptberufliche Popmusikerin Jenny Hval die Untiefen okkulter Lebensentwürfe aus

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer jüngst in einem deutschen Musikmagazin erschienenen Rezension zu Gott Hassen hieß es, dass das als Roman gekennzeichnete Buch zweischneidig sei: Lese man es im richtigen Moment seines Lebens, würde es einem die Welt erklären, lese man es einfach so, sei es eher konfus und richtungslos. Insgesamt kann man diese Sentenz unterschreiben, denn so richtig kongruent ist Jenny Hvals ursprünglich 2018 in Norwegen erschienenes Buch nicht. Ist es ein kulturhistorischer Essay? Ist es ein Werkstattbericht? Oder doch ein Roman? Schwer zu sagen, zumal das Buch gegen Ende ausfranst wie ein Film von Alejandro Jodorowsky, an dessen Werk hier Einiges erinnert. Faszinierend ist es dennoch, oder vielleicht gerade deswegen.

Gott hassen beginnt mit der Beschreibung einer Szene, die sich auf einer DVD der Black Metal-Band Darkthrone befindet: Seltsame Gestalten im Wald, die Suche nach der absoluten Dunkelheit, das existenzialistische Moment der totalen Zerstörung und gleichzeitig der Aufbau bestehender Bande, denn genau aus diesem Begriff, Bande, speist sich das Wort Band, das traditionell eine Vereinigung von Musikern beschreibt. Black Metal als Lebensentwurf wird in der Folge eine zentrale Rolle spielen, ebenso wie der Okkultismus und das Hexentum. Wie gebe ich diesem Konvolut von Ideen einen künstlerischen Ausdruck? Wie positioniert sich diese heidnische Oppositionsbewegung im Kontext norwegischer Gegenwartskultur?

Die Ich-Erzählerin ist auf der Suche nach einer Begründung für ihren seit früher Jugend kultivierten Hass. Hass gegen alles, was in ihren Augen Südnorwegen ausmacht: Gegen das Christentum, das sich unentwegt breitgemacht und das ursprüngliche Heidentum auf brutale Weise verdrängt hat (ein Grundmotiv des Black Metal). Gegen das offizielle kulturelle Erbe um Knut Hamsun und Edvard Munch. Gegen die Schule, gegen die Eltern, gegen alles. Mit dem Aufkommen des Internets in den späten 1990er Jahren findet sie einen Weg, ihren Hass zu kanalisieren. Nicht, weil man online, wie jeder weiß, leicht Hass verbreiten kann, sondern weil sie das Netz als zeitgenössische Interpretation des Okkulten sieht. Die stete Auflösung von Menschen und Dingen in Pixel lässt einen Raum des Unwirklichen, Ungefähren entstehen, eine Phantomwelt, die Geheimnisse in sich birgt und die als Kanal für okkulte Praktiken angesehen werden kann. Es gibt immer eine Wahrheit vor oder nach dem Bild, also eine Wahrheit außerhalb des Bildes – eine wenig neue Erkenntnis –, aber es ist diese Wahrheit, der Hval nachgehen möchte.

Liest man Gott Hassen als stark subjektive kulturhistorische Studie über die Art, welche Räume das Okkulte in der Gegenwart einnimmt, also etwa, was Black Metal als kulturhistorische Bewegung tatsächlich bedeutet, worin modernes Hexentum besteht, warum das Internet, wie gesehen, als Ort des Okkulten verstanden werden kann, aber auch, warum Film ein im Sinne Mark Fishers hauntologisches Phänomen ist. Zumal, wenn es sich um dokumentarische, historische Aufnahmen handelt, dann funktioniert das Buch hervorragend. Als Roman ist es vielleicht weniger gut, aber hier müsste man erst mal diskutieren, was einen Roman im Grunde eigentlich ausmacht. Als Werkstattbericht zur Entstehung eines, wenn auch nur in der eigenen Imagination abgespielten Films ist Gott Hassen aber wiederum beeindruckend. Denn der finale, wie erwähnt an Jodorowsky angelehnte Filmentwurf ist eine faszinierende Quintessenz des feministischen Okkultismus, für den Jenny Hval sich in diesem Buch stark macht. Und der Titel ist natürlich sehr gut gewählt.

Titelbild

Jenny Hval: Gott hassen.
Aus dem Norwegischen von Clara Sondermann.
MÄRZ Verlag, Berlin 2023.
235 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783755000150

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