Scharfe Schnitte vor dem Sturm

Über Leslie Forbes' "Bombay ICE"

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bombay vor dem Monsun: die Videoreporterin Rosalind Benegal kehrt nach Indien zurück und wird sofort mit einem ertrunkenen Transvestiten konfrontiert. Für sie als Reporterin für Kriminalfälle aber kein Alltag, denn sie wähnt auch das Leben ihrer Schwester, Gattin eines berühmten indischen Regisseurs, in Gefahr. Sie nimmt die Spur auf und sorgt für Unruhe in den höheren Kreisen Bombays, die sich erst mit Eintreten des Monsuns und dem von Rosalind erzeugten Showdown legen wird. Die gut eingefädelte Geschichte, die mit einem grandiosen Auftakt beginnt, läßt zum Ende hin nach. Es scheint, als hätte sich die Geschichte in der Vielschichtigkeit der Motive verworren und finde nicht mehr hinaus. Doch gerade diese Motive machen den Roman so originell: Es wird nicht einfach nur eine Kriminalgeschichte erzählt, sondern es werden Verknüpfungen mit Mythen, Weisheiten und der Ankündigung des Sturmes hergestellt.

Der große Zusammenhang freilich, der sich erahnen ließe, wird zum Schluß hin leider immer undeutlicher: Auch er scheint von dem gegen Ende des Romans einsetzenden Monsun durcheinandergewirbelt zu werden. Dafür kann sich aber der Leser an der atmosphärisch aufgeladenen Beschreibung Indiens vor dem Monsun erfreuen und einige spannende Episoden mit der Heldin erleben. Andere Figuren erwachen erst gar nicht richtig zum Leben, wie zum Beispiel der indische Taxifahrer, der Rosalind zu den verschiedenen Schauplätzen fährt und dabei britische Poesie zitiert.

Der Stil der Autorin ist nicht so poetisch, aber flott und zum Teil raffiniert. Filmschnitte, die ein Geschehen be-schreiben, wie die Protagonistin sie sich vorstellt, und die gleichzeitige Verbindung mit einem der Themen des Buches, nämlich dem indischen Film, lassen eine Mischung entstehen, die nicht langweilig zu lesen ist. Der Monsun, der in Bombay erwartet wird, ist auch gleichzeitig das Thema des Filmes von Rosalinds Schwager. Als sei die Geschichte eigentlich ein Film, den die Hauptdarstellerin erlebt. So ist der Roman nicht nur ein Roman, sondern auch ein bißchen Drehbuch. Und das Buch lebt von solchen Gegensätzen, denen die Protagonistin ausgesetzt ist: Sie hat eine zwiespältige Identität: Als Halbschottin und Halbinderin hat sie in jedem Land einen anderen Namen, aus jedem Land einen anderen Elternteil, von jedem Land ein Stück Kultur. Als Land der Gegensätze erweist sich auch Indien: Die erste Leiche, die Rosalind untersucht, ist eine Hijra, ein Mann, der versucht hat, sich in eine Frau zu verwandeln, halb Hure, halb Priesterin. Doch dies ist nur der Anfang des Gewirrs aus Lügen, Wahrheiten und Halbwahrheiten. Fast alles in Bombay erweist sich als Fälschung, oder als Original, das als Fälschung ausgegeben wird.

Titelbild

Leslie Forbes: Bombay Ice. Aus dem Englischen von Margitt Lehbert.
Ullstein Verlag, Berlin 1998.
488 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3550082649

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