Am Puls der Literatur

Volker Hages wichtiges Kompendium "Propheten im eigenen Land"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Volker Hage, der Biograf Marcel Reich-Ranickis, ist als Literaturredakteur des "Spiegel" mit den literarischen und kulturpolitischen Strömungen der neunziger Jahre wohlvertraut. Mit "Propheten im eigenen Land" legt er nun eine Sammlung seiner bis 1987 zurückreichenden Kritiken und Aufsätze vor und spannt den Bogen von dort bis zu den letzten Tagen der Bonner Republik. Eingeleitet wird Hages gescheites Buch von einem lesenswerten Essay zur Debatte über Sinn und Aufgabe von Literaturkritik. Ist die Schutzhülle des literarischen Textes, wie Botho Strauß in der Nachfolge George Steiners behauptet, dank der sekundären Diskurse wirklich "zur Flechte des Parasiten geworden, der seinen Wirt zerstört und überwuchert"?

Hage kennt sich aus im "Wunderland der Obszönität", wo er die "Leidenschaften in der deutschen Literatur" erforscht. Im Kapitel über "Autoren und ihre Bücher" kommt ein komischer Autor wie Robert Gernhardt ebenso zu Wort wie die ernste Riege von Christoph Hein, Ransmayr, Strauß, Walser und Christa Wolf, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass der Akzent dieser Erkundungsgänge eindeutig auf dem gesellschaftspolitisch Brisanten liegt. Unter der Überschrift "Wendezeiten - eine deutsche Chronik" rekonstruiert Hage akribisch die zum Teil erbitterten Diskussionen um Christa Wolfs Erzählstück "Was bleibt", Strauß' "Anschwellenden Bocksgesang", Grass' "Ein weites Feld" und Handkes Serbienreportage, das Reizthema des Jahres 1996. Auf Walsers umstrittene Paulskirchenrede im Oktober 1998 stößt der Leser im letzten Kapitel ("Krieg, Nachkrieg und die Nachgeborenen").

Hage, der schon für den Portraitband "Alles erfunden" zahlreiche deutsche und amerikanische Autoren befragt hat (darunter auch solche, die für gewöhnlich keine Interviews geben), berichtet aus erster Hand, denn vieles konnte er aus nächster Nähe beobachten. In zahlreiche Streitfälle hat er sich selbst eingemischt. Was wird erst die Zukunft bringen, wenn - so Hages Befund - schon Ende der achtziger Jahre der Kommentar der Intellektuellen zur politischen Situation nicht länger gefragt war und sie als Propheten im eigenen Land ungehört blieben? Im Ausblick auf die "literarischen Fräuleinwunder" der Enkelgeneration scheint es fast, als käme deutsche Literatur wieder ins Gespräch und ins Geschäft. Zu wünschen wäre es.

Titelbild

Volker Hage: Propheten im eigenen Land. Auf der Suche nach der deutschen Literatur.
dtv Verlag, München 1999.
400 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3423126922

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