Ziemlich altbacken

Brecht frühe Dramen in Hörspielfassungen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Brechts Dramen gehören immer noch - und das nicht ohne Grund - zum Repertoire der internationalen Bühnen. Der im Feuilleton gelegentlich verbreitete Überdruss, dem der moderne Klassiker mittlerweile erlegen sei, scheint am Ende doch nicht so allgemein zu sein, wie es in der Zeitung steht. Die Aufführungsdaten und die immer wieder kehrenden Brecht-Wellen sprechen dagegen. Nicht einmal die Traktierung von Schülern mehrerer Dekaden mit Brecht-Texten hat ihnen nachhaltig geschadet, zumindest wenn man das Œuvre insgesamt wertet und sich nicht auf die Standards beschränkt, die im schulischen Kanon bestehen müssen.

Trotzdem ist die Zeit auch an Brecht nicht spurlos vorüber gegangen, allerdings weniger an den Brecht-Texten, insbesondere den Dramen, denn an den Brecht-Inszenierungen. Spiegel-Hörbuch hat nun beim Audio-Verlag eine Reihe von klassischen Hörspielinszenierungen auf CD herausgebracht, die es möglich macht, sich in das, was Brecht vor allem Ende der sechziger Jahre bedeutete, hineinzuhören. Naheliegend sind die Differenzen zwischen Theater und Hörspiel weitreichend. Die visuelle Komponente muss nahezu völlig ersetzt werden oder liegt brach. Dem Geschehen folgen die Hörer nurmehr mit ihren Ohren, und ob der Verlust des Sichtbaren dabei völlig aufgefangen werden kann, ist zweifelhaft. Allerdings ist die Wirkung des Hörspiels, das anscheinend in den vergangenen Jahren eine neue Wertschätzung erlebt, unbezweifelbar. Die Erfolge der Hörbücher, die eine veränderte Rezeption massenhaft durchsetzen, sind der schlagende Beleg dafür. Im Falle der von Spiegel-Hörbuch herausgegebenen Brecht-Dramen steht jedoch ein anderer Aspekt im Vordergrund: Die Rundfunkfassungen, die sich der geneigte Hörer nun zu Gemüte führen kann, stammen aus den Jahren 1949, 1964, 1967, 1968 und 1974, und zudem allesamt aus dem westdeutschen und in einem Fall österreichischen Fundus. Die DDR-Rezeption und damit Inszenierung Brechts ist also völlig außen vor gelassen, warum auch immer. Berücksichtigt sind aber unbezweifelt wichtige Dramen Brechts, denen man freilich andere hätte an die Seite stellen können (oder eben auch nicht). "Mutter Courage" wird mit einer Adaption des Südwestfunks aus dem Jahr 1949 vorgestellt, die übrigen Inszenierungen ("Leben des Galilei", "Furcht und Elend des Dritten Reiches", "Die Dreigroschenoper" "Trommeln in der Nacht", "Der gute Mensch von Sezuan") stammen aus den sechziger, in einem Fall aus den siebziger Jahren, darunter bekannte wie "Furcht und Elend des Dritten Reiches" aus dem Jahr 1967. Dass der Südwestrundfunk (SWR) mit drei Produktionen stark vertreten ist, erklärt sich aus dem starken Hörspiel-Fokus der süddeutschen Sender, die heute unter seinem Dach zusammengefasst sind. Das Wirken Alfred Anderschs ist bekannt genug, steht aber weniger für die Qualität seiner persönlichen Arbeit, denn für die Offenheit des Senders, der Andersch über Jahre hinweg beschäftigte und ihm Gestaltungsraum gab.

Wie beständig diese Arbeit war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die damaligen Inszenierungen, die allesamt in recht aufregenden Zeiten stattfanden - der direkten Nachkriegszeit in einem Fall, der Zeit der Studentenunruhen und deren Nachwirkungen bei den übrigen Hörspielfassungen, wenn ich die Radio Bremen Inszenierung von "Trommeln in der Nacht" von 1964 großzügig dazu zählen darf. Auch sind bei den Besetzungen Schauspieler gewählt worden, deren Namen zum Teil bis heute Klang haben, Horst Tappert zum Beispiel, oder Elisabeth Schwarz oder Klausjürgen Wussow. Das verstärkt die Neugier, insbesondere auf die Sangeskünste des wohl eher als Kriminalkommissar bekannten Tappert (mit denen übrigens kein Staat zu machen ist).

Auffallend ist jedoch generell eins: Den Inszenierungen ist ihre Entstehungszeit anzumerken. Sie bedienen ein Brecht-Verständnis, das eigentlich wenig mit seiner Idee eines Theaters des "wissenschaftlichen Zeitalters" zu tun hat.

Das Konzept des epischen Theaters hat einer Beschaulichkeit Raum gegeben, die zwar für eine angenehme Rezeption sorgen mag. Dem Erkenntnisprozess der Hörer, der ja im Zentrum von Brechts Interesse stand, dienen diese Inszenierungen heute jedoch nicht, vielleicht nicht mehr. Der "Gailei" ist von einer fast realistisch zu nennenden Trägheit. Man kann dem allen wunderbar lauschen - wo auch immer man solche CDs abspielt. Aber im Zentrum steht eine Art von Brecht-Erfüllung und damit Brecht-Genuss, der ein hohes Maß an Altbackenheit aufweist. Die extremen Verfremdungen der heutigen Regie, die Texte nur noch als Versatzstücke der eigenen Inszenierung versteht, hat enorme Kritik auf sich gezogen. Das als traditionell bildungsbürgerlich geltende Theaterpublikum schaut oft genug mit großen verwunderten Augen auf das Spektakel, das man ihm auf der Bühne präsentiert. Angesichts der bloß Vertrautheit signalisierenden alten Brecht-Inszenierungen könnten die Brecht-Texte auch im Hörspiel jedoch ein gerüttelt Maß an destruktiver Regie vertragen.

Brecht müsste also auch heute noch zu sich selbst kommen und zu einer Regie, die sein Konzept neu auslegt, um zu einem angemessenen Erfolg zu kommen und die Wirkung zu haben, die er verdient hat. Und zwar nicht, weil er ein Klassiker ist, sondern weil er ein verdammt guter Autor war, dessen Material es anbietet, mehr daraus zu machen, als es Brecht selbst und den Regiegenerationen nach ihm - für die heutige Zeit - gelungen ist.


Titelbild

Bertolt Brecht: Dramen. Hörspieledition. 10 CDs.
Der Audio Verlag, Potsdam 2006.
646 Minuten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3898135292

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