Historische Ideologiekritik - Wolfgang Wippermann untersucht in seiner Studie "Die Deuschen und der Osten. Feindbild und Traumland" die beliebtesten deutschen "Geostereotype" des Orients

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn der "Spiegel" im Jahr 2007 mit der Neugestaltung eines alten propagandistischen CDU-Wahlkampfplakats von 1953 titelt, das rote Ölpipelines zeigt, die zentralperspektivisch auf das dämonisch dreinblickende Gesicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin zulaufen und ihm damit eine bedrohliche Aura verleihen - dann ahnt man, welche ungebrochene Kraft diejenigen "Geostereotype" entfalten, die Wolfgang Wippermanns Band "Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland" analysiert.

Dass geografische Räume von Menschen "gemacht" sind, ist der Forschung bereits seit Längerem bekannt - doch eine "Darstellung der Entstehung, Genese und Funktion" deutscher "Geostereotype" beziehungsweise verschiedener diskursiver Konstruktionen des Ostens in Deutschland gebe es bislang noch nicht, schreibt Wippermann in der Einleitung seines knapp 130-seitigen Essays. Auf der Basis schriftlicher und bildnerischer Quellen, die im Band teils auch abgebildet sind, untersucht Wippermann, wie die Deutschen bestimmte Ideen des Ostens in ihrer Geschichte entwickelt haben. Er geht dabei ideologiekritisch vor und grenzt sich von der so genannten "mental-map"-Forschung ab: "Statt von den Gehirnen der Menschen bin ich von ihrer Geschichte ausgegangen", betont der Autor im Vorwort.

Das Buch enthält Kapitel über die frühen Bilder des 'religiösen' und 'orientalischen Ostens', die aggressiven Feindbilder der NS-Zeit bis hin zu Beleuchtungen der diskursiven Entwicklungen in den Jahren nach 1945. "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau! Darum CDU" lautete das eingangs erwähnte Plakat, dass auch Wippermann hier thematisiert, um die antikommunistischen, rassistischen und antisemitischen Implikationen seiner suggestiven Symbolik herauszuarbeiten. Hier werde im Blick auf die an sich alles andere als "marxistische" SPD jener restaurativen Ära Angst geschürt "vor 'Moskau', der Haupstadt der kommunistischen Welt und des 'asiatischen Russlands', das im bedrohlichen und 'barbarischen' Osten liegt", erläutert der Historiker von der Freien Universität Berlin. Außerdem werde mit dem Plakatmotiv in den 50er-Jahren kurz nach dem Ende des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs "gleichzeitig offen und verdeckt zu einer neuen Aggression gegen diesen Osten aufgerufen": "'Nach Moskau' muss nicht nur Angst vor der 'roten Flut' aus dem Osten, sondern kann auch 'Drang nach Osten' bedeuten."

Nicht nur für "Spiegel"-Leser dürften solche Erinnerungen Anlass zum neuerlichen Hinterfragen alter Stereotype und ihrer nach wie vor wiederbelebbaren Virulenz sein.

Georg D. Henn

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.


Titelbild

Wolfgang Wippermann (Hg.): Die Deutschen und der Osten. Feinbild und Traumland.
Primus Verlag, Darmstadt 2007.
160 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783896783431

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch