Widerwärtig, leicht und absolut zwecklos

Boris Strugatzki erzählt von ohnmächtigen Supermenschen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben Stanislav Lem zählten Arkadi und Boris Strugatzki unstrittig zu den bekanntesten aus Osteuropa stammenden Science Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts. Bis zum Tod Arkadis im Jahre 1991 hatten die Brüder einige der bekanntesten Werke des Genres vorgelegt wie etwa den Roman "Picknick am Wegesrand", der 1978/79 von Andrej Tarkowskij unter dem Titel "Stalker" erfolgreich verfilmt wurde.

Nach dem Tode seines Bruders schrieb Boris Strugatzki alleine weiter. Mit "Die Ohnmächtigen" liegt nunmehr das zweite seiner Soloprojekte in deutscher Übersetzung vor. Ähnlich wie zahlreiche der vom Brüderpaar gemeinsam verfassten Werke wagt sich das vorliegende Buch mit mehr als nur einer Zehenspitze über die Grenzen des Genres der Science Fiction hinaus und wildert ein wenig in den Bereichen der allgemeineren Fantastik.

Bei den titelstiftenden Ohnmächtigen handelt es sich um eine Art russischer X-Men. Gleichwohl haben sie mit ihren amerikanischen Pedants nicht übermäßig viel gemein. Zu den wenigen Gemeinsamkeiten zählt, dass beider Genesis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fällt. Entwickelten zumindest einige der Mutanten des X-Men-Universums ihre übermenschlichen Fähigkeiten zur Zeit des Faschismus, so reicht die Geschichte der Ohnmächtigen bis in die Stalinzeit zurück, in der - laut Roman - Menschenversuche angestellt wurden, um perfekte Kampfmaschinen zu züchten.

Die Protagonisten des Buches haben daher - ähnlich wie die X-Men - ganz unterschiedliche Fähigkeiten. Einer kann das Verhalten von Menschenmassen vorhersagen, ein Anderer verfügt über einen im wahrsten Sinne des Wortes tödlichen Hass, ein Dritter besitzt das absolute Gedächtnis und ein Vierter kann jede Lüge erkennen. Doch anders als die X-Men wollen sie weder die Welt retten oder wenigstens sich selbst vor ihren xenophoben Mitmenschen, noch bilden sie eine feste Organisation. Vielmehr wurstelt sich jeder von ihnen mehr schlecht als recht durch Alltag und Leben. So mögen sie zwar Mutanten sein und Supermenschen, Superhelden sind sie keinesfalls.

"Irgendetwas Schlimmes wird auf jeden Fall passieren", prophezeit der erste Absatz des vorliegenden Werks düster. So dauert es nicht lange, bis eine Bande von Polit-Mafiosi versucht, einen ebenso friedlich wie abgeschieden vor sich hinlebenden Mutanten dazu zu bewegen, mittels Futurokinese die nächsten Wahlen zu ihren Gunsten zu manipulieren. Probate Überredungsmittel sind Folter und Drohungen gegen die Familie des verängstigten Mutanten. Er und Seinesgleichen raufen sich daraufhin zusammen und müssen bald erkennen, "[g]egen das Böse [zu] kämpfen [...] ist, als ob man gegen Wanzen kämpft: Widerwärtig, leicht und absolut zwecklos".

Beste Voraussetzungen für einen mitreißenden Science-Fiction-Thriller reinsten Wassers also. Doch die Story mäandert stattdessen vor sich hin, scheint sich zu verlieren, findet sich wieder und fügt sich langsam, fast möchte man sagen gemächlich, zusammen. Dabei ist sie so artifiziell gebaut und geschrieben, wie man das schon von den Werken des Bruderpaares her kannte.

Was man an Thrill vermissen mag, bekommt man an kuriosen und skurrilen Einfällen überreichlich geboten. Sie sind es, die das Lesevergnügen ausmachen. Da steht etwa Stalin als "kleine[s] Menschlein" vor einem riesigen Lenin-Porträt und sinniert darüber, wie er wohl "eine komplette Sammlung" aller sowjetischer Briefmarken zusammenbekommen kann, die er Roosevelt schenken möchte. Eine Aufgabe, die einer der Mutanten zu lösen hat, was diesen wiederum vor die nicht eben einfache Frage stellt, wie man den Diebstahl einer Briefmarke aufdecken kann, von der nur ein einziges Exemplar existiert, was wiederum niemand außer dem bestohlenen Besitzer weiß.

Derlei skurrilen Humor beherrscht Strugatzki meisterhaft. Allerdings muss man ihn schon mögen, um ihn goutieren zu können.


Titelbild

Boris Strugatzki: Die Ohnmächtigen. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Erik Simon.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
340 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-13: 9783608937749

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