Die Stasi war sein Eckermann

Mark Lehmstedts Dokumentation über den "Fall Hans Mayer" 1956-1963

Von Horst SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Horst Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Exil in Frankreich und der Schweiz lehrte Hans Mayer (1907-2001) nach einem kurzen Intermezzo als Journalist in Frankfurt am Main von 1948 bis 1963 an der Universität Leipzig deutsche Literaturgeschichte und Weltliteratur. Der ungemein produktive Literaturhistoriker, viel beachtete Kritiker, von den meisten seiner Studenten verehrte Professor und charismatische Redner, der "von Haus aus" eigentlich Jurist war, wurde rasch zu einem der wichtigsten und vor allen Dingen auch weit über die Grenzen der DDR-Germanistik hinaus anerkannten und rezipierten Vertreter marxistischer Literaturwissenschaft und -kritik.

Wie seine Leipziger Professorenkollegen und Freunde Werner Krauss und Ernst Bloch war Hans Mayer schon seit seiner Jugend Marxist und aus ideologischer Überzeugung nach dem Zweiten Weltkrieg von der "Westzone" in die "Ostzone" gewechselt. In der Deutschen Demokratischen Republik sah Mayer, der nach dem Zweiten Weltkrieg einer der Mitgründer der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) war, eine sozialistische Alternative zur jungen BRD, in der er immer noch reaktionäre und antisemitische Kräfte am Werk zu sehen glaubte. Mitglied der SED wurde Hans Mayer jedoch nie, er pflegte allerdings bis in höchste Ebenen hinein teils enge, teils distanzierte Kontakte und Beziehungen zur Nomenklatura des SED-Apparates und der DDR-Kulturpolitik.

Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes im November 1956 und den Verhaftungen von Intellektuellen wie Wolfgang Harich und Walter Janka im Dezember 1956 setzte in der DDR eine Phase der ideologischen Verbohrtheit und des Starrsinns ein, in deren Zuge viele vermeintliche innere Gegner des SED-Regimes ins Visier der Staatssicherheit gerieten und Repressalien bis hin zur Inhaftierung oder Berufsverboten ausgesetzt waren. Die SED versuchte mit aller Macht, ihre Vorherrschaft auf allen Gebieten des geistig-kulturellen Lebens durchzusetzen und kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Spätestens mit dem Bau der Mauer 1961 war ihr dies im Großen und Ganzen auch gelungen.

In seinen Leipziger Jahren etablierte sich Hans Mayer als Germanist und Komparatist von internationalem Renommee. Er genoss das verbriefte Privileg, auch in den Westen reisen zu dürfen, hielt dort Vorträge, nahm an den Tagungen der "Gruppe 47" teil und publizierte auch in westdeutschen Medien und Verlagen. Der rhetorisch begnadete Mayer wurde ein in beiden Teilen Deutschlands gefragter Redner und veröffentlichte nicht nur Arbeiten zu literaturwissenschaftlichen Themen, sondern auch zu kulturpolitischen, aktuellen literaturkritischen und zu musikwissenschaftlichen Fragen.

In den späten 1950er-Jahren geriet der unorthodoxe und parteilose Marxist Mayer, dessen Leipziger Vorlesungen im "Hörsaal 40" Scharen junger Germanistik-Studenten in ihren Bann zogen und der sich stets für eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit nach der DDR-Doktrin des "sozialistischen Realismus" als "dekadent" geltenden Autoren wie Franz Kafka oder Marcel Proust einsetzte, zunehmend in Konflikt mit der Obrigkeit der DDR.

Der von 1956 bis 1963 währende "siebenjährige Krieg gegen Hans Mayer", so der Untertitel eines 1997 erschienenen Buches seines damaligen Assistenten Alfred Klein, begann 1956 mit ressentimentgeladenen Reaktionen auf Mayers mit einem Sendeverbot belegten, aber durch ein Versehen in der Zeitung "Sonntag" gedruckten Radiovortrag "Zur Gegenwartslage unserer Literatur" und kulminierte 1962/63 nach der Veröffentlichung von Mayers Buch "Ansichten. Zur Literatur der Zeit" beim westdeutschen Rowohlt Verlag.

Hans Mayer, der in diesem Buch - wie in all seinen anderen Publikationen auch - für die Freiheit der Kunst und der Literatur plädiert und sich unter anderem mit Boris Pasternaks damals im Ostblock inkriminierten Roman "Doktor Schiwago" auseinandersetzt, wurde vorgeworfen, er vertrete "eine Lehrmeinung zuviel". Seine Gegner warfen dem "Kommunisten ohne Parteibuch" vor, er nehme keine ausreichende parteiliche Darstellung und Bewertung der sozialistischen und eine Überschätzung der westdeutschen Gegenwartsliteratur vor. Mayer zog die Konsequenz und kehrte im August 1963 von einer Westreise nicht mehr in die DDR zurück.

Er könne nicht mehr nach Leipzig zurückkehren, heißt es in seinem vom 17. August 1963 datierten "Abschiedsbrief" an das DDR-Staatssekretariat für das Hoch- und Fachhochschulwesen, da die Ereignisse des vergangenen Semesters bewiesen, so Mayer, "dass nahezu alle Voraussetzungen weggefallen sind, die mich vor fünfzehn Jahren veranlasst hatten, von Frankfurt am Main aus dem Ruf der Universität Leipzig Folge zu leisten." Man habe gegen ihn in Leipzig, so Mayer, "eine böswillige und bösglaubige Kampagne geführt, die überhaupt nichts mit einer wissenschaftlichen Kritik zu tun hatte, sondern ausschließlich darauf abzielte, meine pädagogische und wissenschaftliche Einwirkung auf die Studenten unmöglich zu machen. [...] Wenn nun wirklich meine Lehrmeinung als überzählig und überfällig betrachtet wird, ist nicht mehr einzusehen, wie ich noch weiter amtieren sollte."

Spätestens von Ende 1956 an bis zu seinem Verlassen der DDR im Sommer 1963 wurde Hans Mayer von der Staatssicherheit systematisch überwacht. Die "Stasi wurde sein Eckermann", um eine griffige Formulierung des gleichfalls seinerzeit ins Visier der Stasi-Behörden geratenen Schriftstellers (und Mayer-Schülers) Erich Loest aufzugreifen. Gespräche Mayers in Privaträumen oder am Telefon wurden abgehört. Etliche Bekannte, Mitarbeiter, Kollegen und Studenten Hans Mayers berichteten - natürlich ohne dessen Wissen - eifrig über Mayers Ansichten und Äußerungen.

Der Leipziger Verleger und Germanist Mark Lehmstedt, der 2006 eine vorzügliche und viel beachtete Edition der Briefe Mayers 1948 bis 1963 vorlegte, hat als Ergänzung zu diesem sowohl bezüglich Mayers Biografie als auch zur Kulturpolitik in der jungen DDR äußerst aufschlussreichen und informativen Briefband jetzt anlässlich des 100. Geburtstages des "Deutschen auf Widerruf" eine Edition mit Dokumenten zum "Fall Hans Mayer" herausgegeben.

Der von Lehmstedt zusammengestellte und kenntnisreich kommentierte Band enthält auf gut 500 Seiten 264 Dokumente, die größtenteils aus den Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR stammen. Die Arbeit an der vorbildlichen Edition und ihrer Veröffentlichung, so betont Lehnstedt in der Vorbemerkung zum Buch, "wurden nicht durch öffentliche oder private Drittmittel unterstützt".

Das Buch über den "Fall Hans Mayer" liefert wichtige Bausteine zur Biografie Mayers, Hintergrundinformationen über die Germanistik und die Kulturpolitik in der DDR der Jahre 1956 bis 1963 und vor allen Dingen einen erschreckenden Einblick in die Mechanismen und Funktionsweisen eines Überwachungsstaates.


Titelbild

Mark Lehmstedt (Hg.): Der Fall Hans Mayer. Dokumente 1956-1963.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2007.
528 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783937146416

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