Keine grüne Soße

Werner Labisch und Jörg Sundermeier sammeln im "Frankfurtmainbuch" Geschichte und Geschichtchen aus der "kleinsten Metropole der Welt"

Von Eva-Christina GlaserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva-Christina Glaser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Irgendwie war Frankfurt anders als andere Großstädte", erinnert sich der Autor und Journalist Frank Lähnemann an seine Eindrücke an dem Ort, den er - damals in Kassel beheimatet - Mitte der 1980er-Jahre oftmals besuchte und der ihm seinerzeit wie "das Tor zur Welt" erschien. Was es ist, das diese vermeintliche Metropole am Main, die sich immerhin die fünftgrößte Stadt Deutschlands nennen darf und in der einerseits der Puls der Zeit zu schlagen scheint, die andererseits aber oftmals als abweisend bezeichnet wird, damals wie heute so "anders" macht, fragen sich die Beiträge der Anthologie von Werner Labisch und Jörg Sundermeier.

In Form von persönlichen Erzählungen, kritischen Essays, Comics, Dialogen und Interviews geben einunddreißig Autoren, fast alle gebürtige, Wahl-, Ex- oder Übergangsfrankfurter, ihre Ansichten über die "ewige Beinahehauptstadt" zum Besten und verstehen es dabei - mit wenigen Ausnahmen - sowohl zu amüsieren wie mit historischen, politischen, soziologischen und kulturellen Fakten zu unterhalten.

Der Historiker Oliver M. Piecha etwa gibt Auskunft über die Aktivitäten des "Planungsverbandes Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main", der sich seit Jahren - mit bisher allerdings mäßigem Erfolg - um die Schaffung eines Standortes bemüht, der den Vergleich mit Paris oder London nicht zu scheuen braucht. Piecha erklärt, warum der mit solchen Visionen assoziierte Ballungsraum mit seiner potentiellen "Fraport-City" auch zukünftig nur "stille Umlandprovinz" bleiben wird. Susanne Klingner berichtet, warum die Stadt nur im Sitzen schön ist, und Sarah Diehl, die Frankfurt "die erste Station meiner außerelterlichen Adoleszenzzeit" nennt, erzählt, wie sie als Praktikantin im Zuge einer "Museumsodyssee" Marlene Dietrich unter den Rock und im Senckenbergmuseum diversen Tierkadavern auf die Innereien blicken durfte. Autor und DJ Klaus Walter hingegen, der in Frankfurt stets ein "wohliges Gefühl des Nichtdazugehörens" verspürte, erklärt, weshalb Joschka Fischer schuld ist an der "fortwährenden Poplosigkeit" der Stadt, und Publizist Thomas von der Osten-Sacken erinnert an den Untergang des freien Frankfurts im Jahre 1866 durch die Preußische Besatzung. Der Münchner Autor Maximilian König interessiert sich eher für die "Psychologie der Stadt", in der er, obwohl sie nach Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino so "öde und langweilig" ist, dass dort nichts von der Arbeit ablenkt, "keine Zeile zu Papier gebracht" hat. Martin Sonneborn indes kann dies alles nicht verwundern, ist Frankfurt doch seiner Ansicht nach vor allem eines: die "Hauptstadt aller Irren".

"Allen Ecken der Stadt, den schönen wie den hässlichen" will sich das Buch nach Absicht der Herausgeber widmen und tut es auch - zumindest bis zu einem gewissen Grad. Denn leider bleibt der Tenor trotz (oder gerade wegen?) des lokalen Kolorits - ebenso wie das Hochhaus auf dem Umschlag - noch immer ein wenig zu grau, die angenehmen Seiten der vielleicht "unsympathischsten" (Tom Combo), aber immerhin auch einzigen Skyline Deutschlands werden allzu sehr vernachlässigt. Und es scheint, als könne letztlich nur der Tourist in seiner Funktion als Durchreisender Gefallen finden an der Metropole, die "in Wahrheit ein Dorf" ist, dabei aber so viele Gesichter hat, dass sie "auf der Fläche eines Bierdeckels zwanzigmal ihr Gesicht ändern kann" (Jan Süselbeck).

Dennoch sind die teils ironisch-heiteren, teils historisch-kritischen Beiträge die Lektüre wert. Bescheren sie dem Leser doch einen intimen Blick auf die mehr oder weniger verheerenden Missstände, aber auch die liebenswerten Schrullen einer ebenso vielseitigen wie widersprüchlichen Stadt, die eben doch mehr zu bieten hat als die täglichen Börsennachrichten zu Äppelwoi und grüner Soße.


Titelbild

Werner Labisch / Jörg Sundermeier (Hg.): Frankfurtmainbuch. Anthologie.
Verbrecher Verlag, Berlin 2006.
208 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3935843569

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