Kinos und Konservenwürstchen

Kein westlicher Feminismus in der mongolischen Steppe - Petra Hulovás tschechischer Frauenroman

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1979 in Prag gebürtigen Petra Hulová ist mit "Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe" ein atemberaubender Roman gelungen. Ein ungewöhnliches Buch, das von exotischen Lebenentwürfen handelt. "Wenn bei uns daheim Schoroo ist, fliegen rund ums Ger Plastiktüten durch die Luft" - gleich der erste Satz führt in die Herzkammer einer fremden Welt. Neuartige Begriffe schrecken nur im ersten Augenblick. Schnell erschließt sich, was ein Sandsturm ist und manche Fachworte werden im Anhang erläutert. Die Lesbarkeit dieses Romans wird dadurch nicht beinträchtigt und belegt die Souveränität des erzählerischen Handwerks der jungen Autorin.

Seit der politischen Wende von 1989 fallen tschechische Romane immer wieder durch ihre thematische Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Kulturen auf. In Stanislav Komáreks Roman "Kaplans Traum" widmet sich der Held, ein Turkologe, seinen Forschungen über die geheimnisumwitterten Janitscharen. Und Jáchym Topol beschäftigt sich nicht nur im Roman "Die Schwester" intensiv mit der Mystik nordamerikanischer Indianer.

Die Authentizität der im Roman von Petra Hulová geschilderten Welt erklärt sich durch ihren längeren Aufenthalt in der Mongolei, der sich nach einem Studium der Kulturwissenschaft und Mongolistik ergeben hatte.

Es ist eine archaische Welt, mit welcher Dzaja den Leser im ersten Kapitel konfrontiert. Dzaja wächst zwischen drei Schwestern in der mongolischen Steppe auf und lernt von Kindesbeinen an das Leben in einer rauhen Natur sowie den Umgang mit dem Vieh kennen. Bald schon soll die kleine Dzaja erfahren, daß sie anders ist als andere - es geht dabei um das Geheimnis ihrer Herkunft. Im ersten Kapitel entfaltet Dzaja die Welt ihrer Familie und ihrer Kindheit. Bereits ihre Jugendzeit wird von dem frappierenden Stadt-Land-Gefälle geprägt, als Volljährige kommt Dzaja in der Stadt unter. Der Vater hatte vor den Gefahren der Hauptstadt Ulan Bator gewarnt, und die Tante Gelbe Blume rief ihr diese Empfehlungen mit Nachdruck wieder in Erinnerung: "Dass die Stadt gefährlich und ich sehr jung und unerfahren sei und ich nicht auf die ganzen Kinos und Konservenwürstchen hereinfallen solle, auf die winzigen Radios und die feinen Tüchlein, kurz gesagt, auf all das, was ich bewunderte und haben wollte, weil hier, obwohl diese Welt fröhlich und nobel aussehe, das Messer viel öfter aufblitze als bei uns".

Die Zeit verstreicht und Dzajas Bericht endet damit, dass ihre inzwischen 16-jährige Tochter im Streit die Stadtwohnung verlässt. Die folgenden fünf Kapitel knüpfen allesamt an Dzajas Erzählungen an, weiten sie allerdings aus und ergänzen sie aus jeweils gänzlich anderer Perspektive. Im zweiten Kapitel erzählt die junge Tochter. Dzajas Herkunft aus der Steppe kennt sie nur aus der Distanz einer Städterin, die in den Ferien zu Besuch kommt. Ihr graust vor den Essschalen voll "Talg, der mir beim Schlucken immer irgendwo im Hals stecken blieb und beim Rülpsen stank, als würde ein Ziegenbock ausatmen".

Dzajas Mutter, die ihr Leben lang in der Jurte der mongolischen Steppe geblieben war, ergänzt aus ihrer Sicht alles bisher Geschilderte. Naturgemäß weiß sie über ihre Familie mehr als der Leser dieses Romans, und hat doch nicht die geringste Ahnung, was ihre beiden mittleren Töchter über die Jahre hinweg in der Stadt wirklich treiben.

Dzaja und ihre Lieblingsschwester Nara hatten es geschafft, in der Stadt zu überleben und es sogar zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Der Preis dafür ist ungeheuer hoch und beträgt letztlich die eigene Identität.

Der Bericht der jüngsten Schwester, dem Nesthäkchen Ojuna, ist bereits aus der Sicht einer gestandenen Frau erzählt, die als einzige der Töchter die Bewirtschaftung der Jurte in der Steppe aufrechterhalten hat. Ojuna ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie macht sich ihre Gedanken über Dzaja, vor der sie als Kind zittern musste und die sie jetzt als "hässliche, gebeugte Frau" sieht. Sechs Kapitel vereinen sich zu einem meisterhaft erzählten Schicksalsgeschehen. Die elegante Übersetzung von Christa Rothmeier kommt dieser reifen Erzählleistung entgegen. Es herrscht ein nüchterner Ton vor, der ohne Eiferei sowohl die Tabus und Lügen der archaischen Welt benennt, als auch den trostlosen Glanz einer seelenlosen Moderne. Erotische Geschehen werden atmosphärisch dicht berichtet, ohne zu voyeuristischem Blendwerk zu verkommen.

Im letzten Kapitel erhält Dzaja wieder das Wort. Sie bricht ihr ödes Leben in der Stadt ab und kehrt endgültig zurück zum Stammsitz ihrer Familie in die Roten Berge. Von niemandem erwartet und kaum jemanden zum Nutzen. Aber ihr scheint, dass sie sich endlich selbst gehört.


Titelbild

Petra Hulova: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier.
Luchterhand Literaturverlag, München 2007.
300 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621272

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