"Germanisten im Nahkampf"

Die Studentenrevolte von 1968 als literaturwissenschaftliche Zäsur?

Von Dorit MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorit Müller

Am 9. und 10. Oktober 1968 berichtet die FAZ unter den Schlagzeilen "Der Kongreß ist tot" und "Germanisten im Nahkampf" über "wilde Auseinandersetzungen", "Megaphon-Duelle" und "Rüpeleien" auf dem Germanistentag in Berlin. Schon im Vorfeld der Tagung kommt es zu zahlreichen Aktionen, die Störungen von studentischer Seite erwarten lassen. Weder die Technische noch die Freie Universität wollen dem Germanistenverband Tagungsräume bereit stellen. Im Juli 1968 wird auf einer "Delegiertenversammlung der Fachschaften und Basisgruppen" in Frankfurt ein "Gegengermanistentag" geplant. Verfechter einer "besseren Germanistik" bereiten eine gemeinsame Podiumsdiskussion vor, auf der wissenschaftliche Konsequenzen erörtert werden sollten, die sich aus dem gesellschaftlichen Charakter von Sprache und Literatur ergeben. Kurz vor der Veranstaltung wird diese Aktion jedoch von studentischer Seite abgesagt. Es bleibt bei lautstark bekundeten Protesten gegen die Unzulänglichkeiten des Faches, die in die Parole "Schafft die Germanistik ab" münden und einen reibungslosen Ablauf des Berliner Germanistentages verhindern sollen: Von insgesamt vierzehn Vorträgen finden nur acht statt; eine der beiden Arbeitsgemeinschaften wird gesprengt, bevor eine Diskussion des einleitenden Referats überhaupt zustande kommt.

Der Germanistentag von 1968 erregte in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit als jede andere Veranstaltung dieser Art. Die Presse bauschte das Verbandstreffen zu einem großangelegten Spektakel auf, das einmal mehr die "heillose Verwirrung auf dem Gebiet der Germanistik" bezeugen sollte (FAZ) und das Fach zum Sündenbock einer anhaltenden Verfallsgeschichte von Bildung und Kultur machte. Aus heutiger Perspektive stellt sich allerdings die Frage, ob es damals jenseits von "Protesten" und "Tumulten" wissenschaftsexterne und -interne Auseinandersetzungen gab, die zu längerfristigen Zäsuren im Fach führten und 1968 zu einem in wissenschaftshistorischer Perspektive bedeutsamen Jahr machten.

Zunächst einmal lässt sich konstatieren, dass die 1968 formulierten Forderungen nach einer "Politisierung des Fachs" auf die literaturtheoretische Praxis der Folgejahre nicht ohne Einfluss blieben. Die schon auf dem Münchner Germanistentag von 1966 begonnene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Germanistik wurde erneut aufgegriffen und radikalisiert. Ende der 1960er-Jahre setzte zudem eine intensive Rezeption marxistischer Konzepte etwa von Georg Lukács und Herbert Marcuse ein, die einer materialistischen Literaturwissenschaft auf den Weg halfen. Den materialistisch fundierten kunstsoziologischen Reflexionen war ein ausgesprochen kritisches Verhältnis zur konkreten gesellschaftlichen Situation eigen. In ihrer extremen Variante reduzierte diese Sichtweise Literatur auf eine gesellschaftskritische Funktion. Literarische Texte wurden als Abbilder gesellschaftlicher Praxis definiert und sollten durch Identifikation zum Handlungsspielraum der eigenen Praxis dienen.

Ein so gewonnener instrumenteller Literaturbegriff geriet jedoch früh in die Kritik und konnte sich nur an stark politisierten Fachbereichen vornehmlich der neu gegründeten Universitäten durchsetzen. Bereits bei den Teilnehmern des Germanistentages 1968 stieß er auf Abwehr, denn er zielte nicht auf die dringend notwendige theoretische Neugestaltung der Literaturwissenschaft, die das Verbandstreffen anstrebte. Die einzelnen Sektionen beschäftigten sich mit dem Vergleich von Ergebnissen und Verfahrensweisen der Literaturwissenschaft und anderer Fächer wie Mathematik, Soziologie, Politologie, Musikwissenschaft und Philosophie. Der "Dialog" zwischen den benachbarten Disziplinen sollte zur "Klärung der methodischen Ansätze innerhalb der beteiligten Fächer beitragen" (Borck, 1970). Hier ging es vor allem darum, die seit Anfang der 1960er-Jahre geführte Kritik an der im universitären Lehrplan dominanten Werkimmanenz auszuweiten und alternative Forschungsansätze wie Literatursoziologie und mathematische Analyseverfahren vorzustellen. Denn werkimmanente Interpretation hielt an einem emphatischen Gegenstandskonzept fest, klammerte zeitgenössische Literatur aus Forschung und Lehre weitgehend aus und ignorierte Theorien anderer Disziplinen.

Insofern steht der Germanistentag von 1968 in der Kontinuität methodenkritischer Auseinandersetzungen, die weniger von einem Politisierungsschub als vielmehr von fachinternen Verwissenschaftlichungsbestrebungen getragen waren. Erste Reformvorschläge in dieser Richtung wurden schon auf dem Bonner Germanistentag 1963 von Eberhard Lämmert unterbreitet. Sie zielten auf eine Entsakralisierung und Erweiterung des Literaturbegriffs, auf die Trennung von Sprach- und Literaturwissenschaft sowie auf eine Überschreitung nationalliterarischer Grenzen zu einer Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft. 1966 wurden der Anglist Wolfgang Iser und der Romanist Hans-Robert Jauß an die neugegründete Universität Konstanz berufen und erprobten ein Studienmodell, das auf der Trennung von Sprach- und Literaturwissenschaft beruhte. Die konzeptionellen Überlegungen sind 1968 als 'Rhedaer Memorandum' in die Reformdiskussion eingegangen. Forschung und Lehre sollten nicht mehr auf den Zusammenhang von Sprache, Literatur und Nation gründen, sondern sich am jeweiligen Objektbereich 'Sprache' und 'Literatur' orientieren. Analog zum Fachbereich Sprachwissenschaft wurde eine theoretisch ambitionierte Literaturwissenschaft konzipiert, die historisch-empirisch ausgerichtet war und Literatur hinsichtlich ihrer Funktionen der Rezeption, Wirkung und Kommunikation untersuchte.

Von Seiten der politisierten Studentenschaft erschienen diese theoretischen Umbauten als Verrat an der angestrebten gesellschaftskritischen Positionierung. Wichtiger als eine Verwissenschaftlichung der philologischen Praxis erschien den rebellierenden Studenten die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Problemen und der Kampf gegen Werterelativismus und antidemokratische Tendenzen (Schulmeister, 1971). So verschärfte der Berliner Germanistentag die Fronten, die zwischen wissenschaftstheoretisch ambitionierten und gesellschaftspolitisch begründeten Modernisierungsplänen verliefen und die Diskussionen auch in den 1970er-Jahren bestimmen sollten.

Einerseits fand eine Politisierung der Literaturwissenschaften zwar statt, konnte sich jedoch nur an bestimmten Universitäten - zumeist den Neugründungen - durchsetzen. Der politische Kampf um die 'richtige' Theorie und das 'emanzipatorische' Bewusstsein blieb dennoch ein wesentlicher Bezugspunkt der Neuen Linken. Andererseits wurden spätestens 1968 auch die Grundlagen für eine Verwissenschaftlichung der Literaturwissenschaften gelegt: Hierbei handelte es sich zum einen um Konzepte, die Literatur im Verhältnis zur Gesellschaft deuteten und sich vorwiegend in soziologischen Arbeiten und Literaturgeschichtsdarstellungen niederschlugen. Literatursoziologische Ansätze nahmen gesellschaftliche und soziokulturelle Bedingungen der Produktion und Rezeption von Literatur, der Textkonstitution und/oder der Entwicklung literarischer Gattungen in den Blick.

Doch schon seit den 1970er-Jahren beklagte man eine angebliche 'Soziologisierung' der Literaturwissenschaft und forderte eine engere Verkopplung mit literaturhistorischen Betrachtungsweisen. Sie fand Ausdruck in den mehrbändigen Projekten einer "Sozialgeschichte der Literatur", die seit 1980 kontinuierlich erschienen. Zum anderen vollzog sich eine Hinwendung zum Strukturalismus, der im Gegensatz zu marxistischen und sozialgeschichtlichen Konzeptionen keine Gesellschaftstheorie voraussetzte, sondern explizierbare und intersubjektiv diskutierbare Methodologien für den Untersuchungsbereich der Literaturwissenschaft anstrebte. Er war nicht durch gegenstandsbezogene Fragestellungen, die etwa auf das 'Soziale', die 'Gesellschaft' oder auf 'Ideen' zielten, ausgerichtet. Im Grunde genommen stellte 'Strukturalismus' eine wissenschaftliche Vorgehensweise zur Erforschung literarischer Strukturen dar, die quasi auf jede Form gegenstandsbezogener Fragestellung anwendbar war.

Unabhängig vom unterschiedlichen Erfolg lässt sich für beide Richtungen konstatieren, dass sie aufgrund ihrer Rationalität sowie ihrer begrifflichen und methodologischen Ausarbeitung modernen Wissenschaftsstandards entgegen kamen und für einen radikalen Bruch mit Blick auf Erkenntnisinteresse und Begriffsbildungen im Fach gesorgt hatten. Dieser lässt sich anhand semantischer Verschiebungen zentraler Kategorien veranschaulichen: Statt von 'Werk' oder 'Literatur' sprach man jetzt vom 'Text', dessen Funktion wandelte sich vom 'kulturellen Wertträger' zum 'gesellschaftlichen Auftrag'. Auf der Ebene des Erkenntnisinteresses ergab sich ein Wechsel von der 'Wahrheit der Kunst' zur 'wissenschaftlichen Wahrheit', auf der Verfahrensebene trat an die Stelle des 'Verstehens verborgener Bedeutung' und der 'Bewahrung und Überlieferung' die 'Beschreibung von Strukturen, Regeln und Funktionen' sowie die 'Systematisierung des Wissens' (Bogdal, 2005). Das Jahr 1968 hat also durchaus die Neukonzeptualisierung und Modernisierung der Literaturwissenschaften mitgeprägt, auch wenn die Studentenrevolte hier eher Funktionen eines Katalysators besaß, als dass sie grundlegende Weichen stellte.

Auswirkungen zeigten sich jedoch nicht nur auf theoretisch-konzeptuellem Gebiet. Die Achtundsechziger-Bewegung führte auch zu einem beschleunigten Abbau des "Reformstaus", der Anlass für zahlreiche Proteste nicht nur der Studierenden sondern auch jüngerer Hochschullehrer war. Mitte der 1960er-Jahre ergaben Befragungen zur Lage in den germanistischen Instituten, dass eine ungenügende Betreuung der Studierenden zu hohen Abbrecherquoten und Langzeit-Studium führten und so dem Bedarf nach qualifizierten Deutschlehrern nicht entsprochen werden konnte. Als Reaktion darauf wurden 1968 mit dem "Rhedaer Memorandum" und dem "Dreier-Modell" zwei Reformkonzepte vorgelegt, die eine Neustrukturierung des literaturwissenschaftlichen Studiums beförderten und zum Teil bis in die Gegenwart wirken.

Das auf Zweiteilung (Sprach- und Literaturwissenschaft) beruhende Studienmodell des "Rhedaer Memorandums" setzte sich aufgrund seiner theoretischen Ausrichtung und weil die institutionelle Trennung Probleme für die Lehrerausbildung mit sich brachte, weniger erfolgreich durch als das bis heute gültige sogenannte Dreier-Modell, das die Unterteilung der Philologien in Linguistik, Ältere und Neuere Literatur vorsah. Beide Modelle versuchten der angestrebten 'Verwissenschaftlichung' und zugleich der Effizienz des Studiums zu entsprechen. Dem wissenschaftlichen Mittelbau sollten größere Spielräume hinsichtlich seiner Forschungsinteressen und den Studierenden die Möglichkeit selbstgewählter Fächerkombinationen und Universitätswechsel eingeräumt werden. Mit der Neugliederung wurde demnach nicht nur der Ausdifferenzierung von Literatur- und Sprachwissenschaft Rechnung getragen, sondern auch die Selbständigkeit der Studierenden bei der Wahl ihrer Studienschwerpunkte unterstützt, das wissenschaftliche Niveau der Studienabgänger erhöht sowie die Emanzipation der Nachwuchswissenschaftler von ihren akademischen Lehrern befördert.

Nicht zuletzt sorgte die Hochschulreform für einen enormen Ausbau der Hochschullandschaft. Zu Beginn der 1970er-Jahre erfolgten zahlreiche Hochschulneugründungen; die Betreuungsverhältnisse in der Literaturwissenschaft verschoben sich zugunsten der Studierenden; Unterrichtsformen wurden demokratisiert. In einigen neu gegründeten Universitäten wurde die Vorlesung als Lehrveranstaltung abgeschafft, weil sie einem Teil der Studierenden und Lehrenden als hierarchische Form der Wissensvermittlung suspekt erschien. Gleichzeitig wurde überlegt, wie Seminargrößen reduziert werden konnten, welches Maß an Unterstützung Studierende zur Selbstorganisation ihres Wissenserwerbs erhalten sollten und welche Arbeitsformen für eine wissenschaftlich produktive Zusammenarbeit zwischen Lernenden und Lehrenden vorzuziehen seien. Unter Rekurs auf gesellschaftskritische Einsichten der Sozial- und Lernpsychologie wurde 'Kleingruppenarbeit' installiert. Sie erfolgte in so genannten Tutoraten und erhielt Unterstützung nicht nur durch Lehrende des Mittelbaus, sondern wurde auch von außeruniversitären Einrichtungen wie der Volkswagen-Stiftung gefördert, die 1968 ein Tutorenprogramm zur "Verbesserung der Ausbildungssituation in Massenfächern" ausgeschrieben hatte.

Gleichzeitig schuf die Reformphase für die Ausprägung neuer Lehrinhalte eine wesentliche Grundlage. Vielerorts wurde der Literaturkanon aufgebrochen: Science-Fiction, politische Literatur, Publizistik und visuelle Medien wurden als Untersuchungsgegenstände einbezogen, vernachlässigte Gebiete wie Vormärz und DDR-Literatur gerieten in den Fokus. Neue Herangehensweisen wie marxistische und psychoanalytische Literaturanalyse, Literatursoziologie, Rezeptionsästhetik sowie strukturalistische und kommunikationstheoretische Fragestellungen avancierten zu gängigen Unterrichtsthemen, die erst im Laufe der 1980er-Jahre durch neue theoretische Akzentuierungen wie Diskursanalyse und dekonstruktivistische Lektüren verdrängt beziehungsweise erweitert wurden.

Auch wenn der Anteil der Studentenbewegung am theoretisch-konzeptuellen Umbruch der Literaturwissenschaften nicht übermäßig zu bewerten ist, da erste Tendenzen zur Historisierung und Theoretisierung des Fachs bereits Mitte der 1960er-Jahre einsetzten und die späteren Umbauten des Fachs längerfristig vorbereiteten, stellt das Jahr 1968 eine wichtige Umbruchsphase dar. Dies gilt um so mehr, wenn man die Jahreszahl nicht nur für die Studentenunruhen und politischen Skandale des Jahres in Anschlag bringt, sondern darunter eine Vielzahl sozial- und bildungspolitischer Faktoren fasst und die internationale Situation einbezieht. Denn die universitäre Reformphase stand in enger Beziehung zu gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen in der Bundesrepublik. Die Reformbemühungen fielen mit einer Expansion des Bildungssektors zusammen, die auf politisch gelenkte Bildungswerbung, geburtenstarke Jahrgänge und eine Erosion klassen- und schichtenspezifischer Sozialmilieus zurück zu führen ist. Sie eröffneten erstmals auch enorme Bildungschancen für Frauen. Hinzu kam Mitte der 1960er-Jahre ein Generationswechsel, als die bisher von den 1900er- Jahrgängen besetzten universitären Positionen für die nachrückende, um 1929 geborene Generation frei wurden. Diese Generation brachte aufgrund ihrer Erfahrungen in einem sich zunehmend von bildungsbürgerlichen Idealen distanzierenden Nachkriegsdeutschland neue Fragen und Forschungsstrategien in den akademischen Diskurs ein.

Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass die wissenschaftliche Umbruchsphase Ende der 1960er-Jahre kein genuin westdeutsches Phänomen war. So hatte sich auch in Frankreich seit Beginn der 1960er-Jahre das Wissenschaftssystem radikal verändert. Bis 1967 stieg die Zahl der Studierenden im Vergleich zu 1950 auf das Vierfache an. In der Endphase der Ära de Gaulles bestimmten studentische Revolten den universitären Betrieb. Vertreter eines nonkonformistischen Hegelianismus beziehungsweise Marxismus nahmen wichtige intellektuelle Positionen ein. Reformuniversitäten wie die 1968 in Vincennes eingerichtete Universität erhielten den Auftrag, ihre Ausbildung an gesellschaftlich brisanten Themen auszurichten und sich für Studierende aus unterprivilegierten Schichten zu öffnen. Parallel zu den traditionalistischen Universitäten wie der Sorbonne und der ENS entstanden interdisziplinär orientierte Forschungseinrichtungen.

Selbst in der DDR, die von Studentenunruhen unbehelligt blieb, kam es in den 1960er-Jahren zu einem institutionellen und konzeptuellen Wandel der Literaturwissenschaften. Nahezu zeitgleich mit der anlaufenden Reformphase in der Bundesrepublik wurde hier die 'Dritte Hochschulreform' eingeleitet. Sie schuf zwischen 1965 und 1968 eine Reihe von Neuregelungen, die nicht nur dem Ziel dienten, Ausbildung und Forschung effizienter zu gestalten, sondern auch den Anforderungen der ,wissenschaftlich-technischen Revolution' zu genügen. Bei allen Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland lassen sich erstaunliche Übereinstimmungen feststellen, die nicht nur den Umbau des Hochschulsystems, die Überwindung nationalliterarischer Begrenzungen, die Kooperationsbereitschaft mit anderen Wissenschaftsbereichen und die Etablierung neuer Wissenschaftsstandards betreffen, sondern auch die Öffnung der literarischen Gegenstandsfelder und die Konzeption von Theorien und Verfahrensweisen, die dem erweiterten Untersuchungsbereich Rechnung trugen. So konnten sich sozialgeschichtliche und rezeptionsästhetische Ansätze als international anschlussfähige Paradigmen zeitgleich in Ost und West ausbilden und die Literaturwissenschaft in den nächsten Jahren entscheidend prägen (Boden, 1997).

Dies sind einmal mehr Indizien dafür, dass Ende der 1960er-Jahre auch jenseits von "Protesten" und "Tumulten" der Studentenrevolte eine Vielzahl wissenschaftsinterner und -externer Faktoren wirksam wurden, die eine in ihren Auswirkungen noch vierzig Jahre nach den Unruhen spürbare Wende in den Literaturwissenschaften einleiten konnten.

Literatur:

Petra Boden: "Es geht ums Ganze!" Vergleichende Beobachtungen zur germanistischen Literaturwissenschaft in beiden deutschen Staaten 1945-1989. In: Euphorion 91 (1997) 2, S. 247-275.

Klaus-Michael Bogdal (Hg.): Neue Literaturtheorien. Opladen 2005.

Karl Heinz Borck (Hg.): Der Berliner Germanistentag 1968. Heidelberg 1970.

Marlis Krüger: Krise der Germanistik. Zur Lage der Germanistik an westdeutschen Universitäten (Umfrage 1965). In: German Quarterly 42. Jg. (1969), S. 225-253.

Rainer Rosenberg/Inge Münz-Koenen/Petra Boden (Hg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft-Literatur-Medien. Berlin 2000.

Rolf Schulmeister: Ziele einer gesellschaftskritischen Germanistik aus der Sicht von Studenten. In: Kritische Germanistik. Eine hermeneutische und materialistische Wissenschaft. Hg. von der Bundesassistentenkonferenz. Bonn 1971.

Oliver Sill: Zwischen entwerteter Vergangenheit und ungewisser Zukunft. Germanistik und gesellschaftliche Modernisierung. In: Klaus-Michael Bogdal/Oliver Müller (Hg.): Innovation und Modernisierung. Germanistik von 1965 bis 1980. Heidelberg 2005, S. 33-38.