Vielleicht bin ich verrückt. Großer Gott. Na ja.

Philip K. Dicks Science-Fiction Storys sind nicht mehr ganz frisch

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ Definitiv nicht. Zumindest nicht in der fünfbändigen Ausgabe „sämtliche[r] 118 SF-Geschichten“ Philip K. Dicks, der den gleichnamigen Roman vor vierzig Jahren verfasst hat. Sollten die HerausgeberInnen etwa der irrigen Auffassung sein, bei dem Roman handele es sich nicht um Science-Fiction? Oder er erzähle keine Geschichte? Nein, die Erklärung liefert Dick selbst und zwar im Anhang des ersten Bandes. Hier setzt er „Geschichte[n]“ kurzerhand mit „Kurzgeschichte[n]“ gleich und unterscheidet beide vom „Roman“, wobei er im englischen Original vermutlich von „story“, „short story“ und „novel“ spricht.

Allerdings führt der Untertitel der Ausgabe noch in einer zweiten Hinsicht in die Irre. Nicht nur, dass sie nicht alle SF-Geschichten (also auch die Romane) enthält, es sind auch nicht alle aufgenommenen short stories dem Genre der Science-Fiction zuzurechnen. Schon die zweite des ersten Bandes – sie trägt den Titel „Roog“ – ist eine Tiergeschichte. In ihr stellt Dick die allwöchentliche Müllabfuhr durch die Augen eines Haushundes dar, was er im Anhang noch einmal reichlich sentimental erklärt. Andere Stories wie „Entbehrlich“ oder „Der König der Elfen“ schlägt Dick selbst der „Fantasy“ zu, ebenso „Kleine Stadt“. Und auch das Horror-Genre wird mit Geschichten wie „Die Keksfrau“ oder „Von verdorrten Äpfeln“ bedient.

Doch noch einmal zurück zu Dicks Differenzierung zwischen Kurzgeschichte und Roman, die sich dem Autor zufolge auf vielfältige Weise unterscheiden. In letzterem müsse beispielsweise der Protagonist „dem Leser so sympathisch oder vertraut sein, daß, egal, was der Protagonist tut, er, der Leser, unter den gleichen Umständen das gleiche täte“. In einer Kurzgeschichte, sei es hingegen „nicht notwendig, eine solche Identifikationsfigur für den Leser zu schaffen“. Denn hier sei „nicht genug Platz für soviel Staffage“ und außerdem liege ihre „Betonung ja auf der Tat und nicht auf dem Täter“. Dick lässt keinen Zweifel daran, dass er Kurzgeschichten höher bewertet als Romane. Diese könne man „an einer beliebigen Stelle“ aufschlagen und sei sofort gelangweilt. Virginia Woolf etwa habe „über rein gar nichts“ schreiben können. „In einer Kurzgeschichte aber kommt man damit nicht durch“, meint Dick. Um die schreiben zu können, müsse man schon eine „Idee“ haben.

Und die hat Dick denn auch – meistens jedenfalls. Von dieser einen Idee zehren seine Kurzgeschichten, die er in einer denkbar kargen Sprache erzählt. Auch gewährt er den Lesenden nie einen Blick auf das Ganze, in dem das von einem oder einer handvoll Helden zu lösende Geheimnis ruht, und das dadurch eben dieses doch erst denkbar erscheinen ließe. Es sind die Geheimnisse und absonderlichen Ereignisse, welche die Spannung in Dicks Geschichten erzeugen. Die Figuren lassen einen hingegen völlig gleichgültig. Kaum vorzustellen, dass man einmal mit ihnen bangen und hoffen könnte, dazu sind sie zu sehr bloße Marionetten des Plots, der meist auf einem – wie Dick sagt, „gute[n] kleine[n] Paradox“ beruht.

Die Werbung des Klappentextes, die Erzählungen kleideten „so ziemlich alle philosophischen und theologischen Grundprobleme“ in eine „spannende Handlung“ und könnten somit „wie ein Kompendium der angewandten Philosophie gelesen werden“, trägt allzu dick auf. Meist bieten sie, wie etwa die Geschichte „Ausstellungsstück“, nicht mehr als einige unausgegorene Gedanken, die vielleicht Pubertierende für philosophisch halten mögen. Oder sie präsentieren den Lesenden pseudotiefsinniges Geschwätz, wie etwa in „Mr. Raumschiff“ („‚Die Natur kann von großem Nutzen sein für einen Wissenschaftler‘, sagte Gross. ‚Ohne sie gäbe es keine Wissenschaft.‘“) oder in „Entbehrlich“ („Der Kampf ums Überleben ist eine Kraft, die ist größer als alles menschliche Ethos. Sie läßt unsere Moralvorstellungen und Sitten ein wenig blaß aussehen.“).

Dass Dick oft wenig von den Fragen und Problemen verstanden hat, mit denen sich Immanuel Kant oder die alten Griechen befassten, zeigt etwa sein Verständnis des von ihm gern im Mund geführten Begriffs a priori. Nachdem die Figuren in der Geschichte „Vermessungsteam“ alle anderen Planeten als mögliche Siedlungswelten systematisch ausgeschlossen haben, konstatieren sie, dass der noch nicht untersuchte Mars „a priori die einzige Möglichkeit“ zur Besiedlung sei.

In der Erzählung „Der unermüdliche Frosch“ literarisiert Dick eines der Paradoxa Zenons, von denen es bekanntlich mehrere gibt. Die Rede ist von dem des Achilles, der den Vorsprung einer Schildkröte nicht einholen kann. Hat er den Ort erreicht, an dem sie war, als beide starteten, ist sie schon ein kleines Stück weiter gekrochen. Erreicht er diesen Ort, ist auch sie wiederum ein Stückchen vorwärts gekommen und so weiter ad infinitum. Dick ändert das Paradoxon ab und macht aus dem griechischen Helden einen Frosch auf dem Boden eines Brunnens, dessen Sprünge immer nur halb so weit reichen wie der jeweils vorherige. Die unlösbare Frage sei nun, ob er den Brunnenrand erreichen kann oder nicht. So unlösbar, wie Dick meint, ist sie aber gar nicht, denn indem er das Paradoxon umgewandelt hat, hat er es zugleich zerstört. So gibt es gleich mehrere Lösungen, die vom Verhältnis der Tiefe des Brunnens zur Weite des ersten Sprunges abhängen. Beträgt diese beispielsweise mindestens zwei Drittel der Höhe des Brunnens, erreicht der Frosch dessen Rand schon mit dem zweiten Sprung. Kann er unendlich oft springen, erreicht er den Rand ebenfalls. Es sei denn, der Brunnen ist unendlich tief. Doch wie alle Philosophieprofessoren und Wissenschaftler bei Dick argumentieren auch die Universitätsgelehrten in dieser Geschichte nicht und kommen so dem vermeintlichen ‚Paradoxon‘ auch nicht auf den Grund. Vielmehr wiederholen sie stur ihre wenigen Glaubenssätze.

In dieser wie auch in etlichen anderen Stories zwingt der Autor seine kaum Charaktere zu nennenden Figuren immer wieder zu den unsinnigsten Handlungen, um die Geschichten in seinem Sinne vorantreiben zu können. So sind einige von ihnen deswegen so skurril, weil die Figuren auf die einschneidendsten Unmöglichkeiten zwar einigermaßen verwundert reagieren, dabei aber doch unangebracht gelassen bleiben. „Vielleicht bin ich verrückt. Großer Gott. Na ja, bis bald“, verabschiedet sich etwa Professor Anthony Douglas von seinen Bekannten, nachdem er gerade von einem „riesigen Auge“ beobachtet wurde, welches „das ganze Fenster“ seines Zimmers ausfüllte. Überhaupt agieren seine Figuren – seien es nun Philosophen, geniale Wissenschaftler, Weltenlenker oder Kriegsherren – grundsätzlich wie Kinder in einem Sandkasten, die ein nicht ernst zu nehmendes Spiel betreiben.

Sind Dicks oft stümpernde philosophische Versuche entgegen der Verlagswerbung weniger eine Stärke als vielmehr eine Schwäche seiner Geschichten, so wäre seinen Zukunftsvisionen das mangelnde Interessen an technischen Entwicklungen zugute zu halten, wenn ihr Autor sich nicht auch hier allzu nachlässig geben würde. So gehört das unvermeidliche „Videofon“ zur Standardausrüstung so ziemlich aller seiner Zukunftsgeschichten, auch scheinen sämtliche Zukünfte nur eine einzige Automarke zu kennen: den Buick, bei dem immerhin das stets peinlich genau angegebene Produktionsjahr von Geschichte zu Geschichte variiert. Öfters führt Dicks technisches Desinteresse zu Anachronismen. Da werden Gehirne direkt an Raumschiffsteuerungen angeschlossen, während die Pläne für das Unternehmen noch mit Kreide auf Wandtafeln gezeichnet werden. Und nach Jahrhunderten ungebrochenen Fortschrittes bevölkern noch immer Schreibmaschinen die Büros.

Doch nicht nur am angestaubten Interieur lässt sich ablesen, dass die meisten der Geschichten während der 1950er-Jahre geschrieben wurden. Noch deutlicher legen die gender-Rollen der Figuren davon Zeugnis ab. Die hierarchischen Geschlechterverhältnisse zur Mitte des vorigen Jahrhunderts scheinen in Stein gemeißelt zu sein und auch noch die nächsten paar Jahrtausende Bestand zu haben. So ist auch in der fernsten Zukunft noch immer die Frau für den Haushalt und die Mahlzeiten zuständig, nur dass sie nun „Siriusianisches Maufwurfssteak“ zubereitet. Möchte sie wie in der Erzählung „Von verdorrten Äpfeln“ einmal kurz das Haus verlassen, fragt sie ihren Gatten besser um Erlaubnis, die dieser nach kurzem Zögern gewährt – unter der Bedingung selbstverständlich, dass das Abendessen rechtzeitig auf dem Tisch steht. Wie sich schnell herausstellt, hätte er sich aber besser nicht so großzügig gezeigt. Will eine Frau sich einmal als unabhängig erweisen, wird sie wie in „Und Frieden auf Erden“ furchtbar bestraft. Ebenso der Mann, dessen zu spät erbetene Ratschläge nun auch nicht mehr helfen können. Schließlich fällt die gesamte Menschheit dem Unabhängigkeitsstreben einer einzigen Frau zum Opfer. Bei all dem bleiben Männer die Ruhe selbst, während Frauen schon bei Kleinigkeiten gerne einmal hysterisch reagieren. Dann „klatscht“ man ihnen am besten mit der „flache[n] Hand […] ins Gesicht“. Das bringt sie verlässlich wieder zur Räson und sie entschuldigen sich „leise“, während sich ein „roter Striemen“ auf ihrer Wange abzuzeichnen beginnt.

Die Männer in Dicks Zukünften scheinen hingegen samt und sonders außerstande zu sein, sich eine Tasse Kaffee einzugießen. Mögen Figuren und Lesende auch zweifeln, ob eine Frau eine „Hexe“ oder eine „Heilige“ ist, so können sie sich doch darauf verlassen, dass sie Teller und Tassen aus dem Schrank holt, um den Frühstückstisch für die Familie zu bereiten. Selbst weibliche Vorstandsmitglieder der mächtigsten Institutionen beschränken ihre Tätigkeit darauf, während der Sitzungen, den männlichen Kollegen „leise“ Kaffee in die Tassen zu gießen. „Mädchen vom Empfang“ sind „blond, mit dunkelgrünen Augen“, und haben eine „Figur“, die den Protagonisten „vor allem ihrer bautechnischen Aspekte wegen beeindruckt, ihrer Aufhängung sozusagen“. Überhaupt scheint Dick eine besondere Obsession für weibliche Brüste zu hegen. In jeder dritten Geschichte heben und senken sich die Busen tief atmender Angehöriger des weiblichen Geschlechts. Und werden in Männerrunden Fotos nackter Frauen herumgereicht, sind sie selbst verständlich mit „acht Brüsten“ ausgestattet. Auf diese und ähnliche Weise bekommen die Lesenden die plumpsten Männerfantasien präsentiert, in denen schon mal ein „goldener Mann“ sein Unwesen treiben darf, der „für Menschenweibchen sexuell unwiderstehlich“ ist.

In späteren Erzeugnissen gefällt sich Dick gerne mal in pornografischen Fantasien, wie etwa in dem 1968 entstandenen, nur wenige Zeilen umfassenden Text „Die endgültig allerletzte Geschichte. Für Harlan Ellisons Anthologie ‚Dangerous Visions‘“. In einer durch einen „Wasserstoffbombenkrieg“ zerstörten Welt besuchen Frauen „im heiratsfähigen Alter“ einen „futuristischen Zoo“ und „paaren sich in den Käfigen mit verschiedenen, deformierten und nichtmenschlichen Lebensformen.“ Eine von ihnen, die aus den Körpern mehrerer anderer Frauen „zusammengesetzt“ wurde, wird dabei mittels „futuristischer Technik“ von einer „weiblichen Außerirdischen“ geschwängert. Nach der Geburt kämpfen beide um den Säugling. „Die junge Menschenfrau gewinnt und frisst, ohne zu zögern, das Kind mit Haut und Haar auf.“

Neben derlei Männerfantasien literarisiert er auch die legendäre Angst des Mannes vor der übermächtigen Frau. In der Geschichte „Fehleinstellung“, werden Männer zu Mutanten, die von „weiblichen Immunen“ kontrolliert werden müssen. Der Protagonist fürchtet, dass es zu einer „matriarchalischen Kultur“ kommen werde. Eine „Vorstellung“, die ihm „zutiefst verhaßt“ ist. In „Pfeifer im Wald“ führt eine „wunderschön[e] Undine mit bronzene[m] Körper“ und „langem dunklem Haar, das ihr über die Schultern und Arme fiel“ die Männer ins Verderben, macht allerdings auch vor der Karrierefrau und der Sekretärin, einem „gut gebaute[n] süße[n] kleine[n] Ding“, nicht halt. Geradezu erschütternd uninspiriert ist auch die Adaption des Kirke-Mythos in „Fremdes Paradies“.

Die Story „Zwischen den Stühlen“ wiederum genderisiert einen politischen Konflikt in dem die „Naturalisten“ die konkurrierenden „Puristen“ als „Schwuchteln“ beschimpfen und ihnen vorwerfen, die Menschen „in eine Rasse von Weibern verwandel[n]“ zu wollen, dabei sei „[d]ieser Planet“ doch schließlich „von kraftstrotzenden Männern aufgebaut“ worden. Positiv anzumerken ist hier allerdings, dass sich die Identifikationsfigur auf keine der beiden Seiten schlägt.

Überhaupt soll Dicks Geschichten nach aller notwenigen Kritik nun auch die allfällige Anerkennung gezollt werden. Da ist zuvorderst die vielen Geschichten immanente Kritik an Fremdenfeindlichkeit (etwa in „Marsianer kommen in Wolken“), Kolonialismus („Gewisse Lebensformen“) und vor allem am Krieg zu nennen. Letzterer herrscht zwar in den meisten Storys. Doch gleichgültig, ob die Menschen gegeneinander oder gegen Aliens kämpfen, stets gehen die Kriege mit Diktaturen einher und werden als völlig sinnlos dargestellt. Das Reflektionsniveau über die Ursachen der Kriege ist dabei allerdings nicht sonderlich hoch. So wird in „Mr. Raumschiff“ darüber sinniert, ob Krieg zu führen, „nur eine Gewohnheit“, „ein Instinkt“, oder gar „ein Gesetz des Universums“ sei.

Nicht ganz unwichtig für eine gelungene Short Story ist die Pointe. Und da hat Dick tatsächlich einige recht nette vorzuweisen, etwa in „Beutestück“. Wirklich witzig ist die Idee des „Prinzip[s] der Hinreichenden Belästigung“ in „Das kurze glückliche Leben des braunen Halbschuhs“.

Auch der 1964 erschienene Text „Orpheus mit Pferdefuß“ ist ausgesprochen kurzweilig. In ihm macht sich Dick nicht nur über das Sci-Fi-Genre lustig, sondern nimmt fast schon ein wenig den literarischen Postmodernismus vorweg. Gut möglich, dass Paul Auster sich über sie amüsierte, bevor er seinen die „New York-Trilogie“ eröffneten Krimi „Stadt aus Glas“ schrieb. Wirklich goutieren wird man Dicks Geschichte aber nur können, wenn man dem Anhang entnommen hat, dass er sie seinerzeit unter dem Pseudonym Jack Downland veröffentlichte.

Abschließend soll nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass Dick die eingangs aufgeworfene Frage nach den träumenden Androiden auch in der vorliegenden Ausgabe nicht ganz unbeantwortet lässt. Denn Dicks die Frage im Titel führender Roman, fußt – wie könnte es anders sein – auf einer Kurzgeschichte. Und die fehlt in den vorliegend fünf Bänden natürlich nicht. Glaubt man dem Autor, kann man auch gut auf die Lektüre des Romans verzichten. Denn entsprechend seiner Roman/Kurzgeschichten-These kommt die beiden zugrundeliegende Idee wie stets so auch diesmal in der Erzählung „besser raus“.

Titelbild

Philip K. Dick: Sämtliche 118 SF-Geschichten. 5 Bände.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Bela Wohl, Thomas Mohr, Clara Drechsler, Harry Rowohlt, Klaus Timmermann u.a.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2008.
3233 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783861508038

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