Zusammenstöße
Erziehungs- und andere WissenschaftlerInnen fragen nach der Zukunft feministischer Theoriebildung
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEnde der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts forderte Virginia Woolf für Frauen "A Room of One's Own", um ungestört kreativ tätig sein zu können. Achtzig Jahre später sind schreibende Frauen nicht länger darauf verwiesen, ihre Texte alleine im stillen Kämmerlein zu verfassen. Wenigstens einige von ihnen sind in die - wie Sabine Hark sie mit Jürgen Mittelstraß nennt - "Häuser des Wissens" vorgedrungen. Allerdings, so warnt Hark nachdrücklich, sollten sie sich in Universitäten, Hochschulen und Akademien keinesfalls mit einem "eigenen Zimmer" begnügen, in das sie von den alteingesessenen Herrschaften nicht ungern eingewiesen werden.
Denn, so führt Hark aus, das "etablierte Wissen" verteidige sich längst nicht mehr alleine "repressiv und ausschließend, sondern produktiv und einschließend" gegen die "feministische Herausforderung", der es daher gerne mal ein eignes Zimmer gewähre, um sie so gleichermaßen zu inkorporieren wie kaltzustellen. Nicht zuletzt deshalb sei der "gegenwärtige Moment" für den "akademisch gewordenen Feminismus" von "entscheidender" Bedeutung, gehe es doch darum, dessen "aktuelle akademische Institutionalisierung, insbesondere im Zeichen von gender", als "feministische Theorie und Praxis insgesamt zu reartikulieren".
Im Spätsommer 2007 hat Hark ihre Überlegungen, mit denen sie einige Aspekte ihrer 2005 unter dem Titel "Dissidente Partizipation" erschienen Habilitationsschrift vertieft, auf dem idyllisch gelegenen Schloss Rauischholzhausen nahe Marburg vorgetragen, wo die "Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft" ihre Jahrestagung abhielt.
Nun ist Hark bekanntlich keine Erziehungswissenschaftlerin. Dass sie gleichwohl eingeladen worden war und Gehör fand, ist dem Umstand zu danken, dass die OrganisatorInnen ihre traditionell disziplinäre Tagung diesmal als "interdisziplinäres Gespräch" veranstalteten, zu dem sie WissenschaftlerInnen diverser Disziplinen geladen hatten, um der Frage "Was kommt nach der Genderforschung?" nachzugehen. Eine Frage, die, wie Susanne Mauerer anmerkt, "als Provokation gedacht" war und "offenbar auch provozieren [konnte]".
Die Antworten fielen vielfältig aus und sind doch einheitlich. Letzteres, insofern alle ReferentInnen darin konform gingen, dass nach der Genderforschung vor der Genderforschung sei; unterschiedlich, da jedeR von ihnen eine besondere Weiterführung oder gar Modifizierung der Genderforschung favorisierte. Kurz: Es herrschte Konsens darüber, "dass nicht etwa ein 'Ende' der Geschlechterforschung ansteht, sondern im Gegenteil ihre 'Retheoretisierung', ein neuer Schub von Ausdifferenzierung".
Dies bestätigt nun der von Rita Casale und Barbara Rendtorff herausgegebene Tagungsband, dessen Titel die besagte provokante Frage stiftet. Anliegen sowohl der Tagung als auch des vorliegenden Bandes war beziehungsweise ist es, "die Debatten über die Probleme und Stagnationen, die Ideen und Überlegungen zu Stand und Zukunft der Geschlechtertheorie als interdisziplinäres Thema zusammen zu führen, zu gegenseitiger Anregung". Da war es nur naheliegend, dass neben den Vorträgen auch die seinerzeitigen Kommentare in den Band aufgenommen wurden.
Nur eine beiden Herausgeberinnen ist mit einem eigenen Beitrag vertreten. Barbara Rendtorff verteidigt Sigmund Freud gegen Feministinnen, die sich als ungenaue Leserinnen erweisen. Zu den AutorInnen, deren Fachgebiet die ausrichtende Disziplin ist, zählen des weiteren Susanne Maurer mit ihrem Vorschlag, "sich nicht nur mit 'Entwicklungs-Geschichten feministischen Denkens' auseinanderzusetzen, sondern auch die Thematisierungsdynamiken im Kontext feministischer Theoriebildung genauer in den Blick zu nehmen", Juliane Jacobi, die "Potential und Grenzen feministischer Wissenschaftskritik" in der Erziehungswissenschaft auslotet, und Edgar Forster. Er ist nicht nur der einzige Beitragende männlichen Geschlechts, sondern auch der einzige, der sich selbst der "Männerforschung" zurechnet. Foster vermutet, dass "die Quelle des Unbehagens mit dem Begriff gender" von "unerfüllten Hoffnungen" und "in Vergessenheit geratenen Erfahrungen und Denkweisen" gespeist werden könnte. Joan Scotts "Erschöpfungsthese" der Kategorie Gender (siehe literaturkritik.de 11/2001) könne "damit zu tun" haben, "dass gender im Laufe der kurzen Geschichte der Gender Studies zunehmend auf eine Repräsentationsfunktion beschränkt bzw. als Repräsentationsproblem untersucht wird", es sich bei Gaile Rubins sex/gender system jedoch "vor allem um eine Erfindung eines Begriffs handelt", lautet eine seiner Thesen. Die "Zukunft von gender" hänge nun davon ab, "wie der Wahrheitsraum 'Geschlecht' durch die Molekularbiologie und Neurobiologie reorganisiert wird".
Scotts Annahme, die Kategorie Gender habe ihr kritisches Potential eingebüßt, gründe nicht etwa darin, "dass die Erkenntnisse über die soziale Konstruktion von Geschlecht widerlegt wurden". Vielmehr habe die Kategorie durch die molekular- und neurobiologische Reorganisation des Wahrheitsraumes ihren Platz verloren und den von ihr gestifteten Erkenntnissen käme kein "Wahrheitswert" mehr zu. Als "Kampfbegriff" zur "Repolitisierung des Begriffs gender" könne Robert W. Connells Begriff der "patriarchalen Dividende" dienen, denn er bringe Männer als "Kollektiv" hervor, "das sich über die gemeinsame Verantwortung definiert, politisch gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu kämpfen". So werde Männlichkeit "durch den Kampf gegen jede Form von Herrschaft paralysiert".
Die Historikerin Claudia Opitz beantwortet die Frage des Bands hingegen mit der griffigen Wendung: "Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung". In ihrem so betitelten Aufsatz spricht sie der Kategorie Gender noch "sehr viel Potential" zu. Ihr "Plädoyer" gilt der "historische[n] Dimension der Geschlechterforschung". Zwar sei die Abkehr von "einseitige[n] 'große Erzählung[en]'" und "problematische[n] 'Metanarrativ[en]'" nicht ganz verkehrt. Darum jedoch "jegliche Hierarchisierungen der Kategorien und gleichsam alle 'Meta-Narrative' zu vermeiden", zeuge nicht etwa von "'revolutionärer' oder doch kritischer Wissenschaftspraxis", sondern nur von "intellektueller Feigheit". Statt sich weiterhin auf die Kritik "altüberkommene[r] Meta-Narrative" zu beschränken, sollten "wenigstens einige 'Meso-Narrative' aus Gender-Perspektive" erarbeitet werden.
Gudrun-Axeli Knapp wiederum möchte die Gender-Forschung durch Intersectionality abgelöst sehen, welche "die dekonstruktivistischen Einwände ernst [nimmt] und dennoch an der Notwendigkeit und Möglichkeit feministischer Kritik [festhält]". Dabei setzt die Soziologin ihre Hoffnung darauf, dass der "Zusammenstoß" von "strukturtheoretisch argumentierenden Ansätzen, die Race, Class, Gender in Termini von Macht, Herrschaft und Ungleichheit fokussieren", "mit dekonstruktivistischen Ansätzen, die eine radikale grundlagenkritische Infragestellung des Referenzsubjekts feministischer Kritik formulieren", die "produktiven Einsichten der neueren Intersektionalitätsdiskussion" evoziere. Allerdings hält sie es für "zweifelhaft", ob sich Intersectionality zur "'good theory' im engeren Sinne" entwickeln könne.
Astrid Deuber-Mankowsky, die sich unlängst mit einer Arbeit zu "Praktiken der Illusion" bei DenkerInnen von Immanuel Kant bis Donna Haraway habilitierte, schlägt vor, "Gender als eine Frage des Wissens zu verstehen". Wie sie näher ausführt, möchte sie den Begriff als "epistemisches Ding" im Sinne Hans-Jörg Rheinsbergers verstanden wissen, der mit diesem Terminus "Diskursobjekte" bezeichnet, "denen die Anstrengung des Wissens gilt", inklusive Strukturen, Reaktionen oder Funktionen.
Wie der vorliegende Band einmal mehr zeigt ist die Kategorie Gender - und mit ihr die gleichnamigen Studies - noch lang nicht am Ende, sondern wird sich auch in der "Zukunft der feministischen Theoriebildung" bis auf weiteres eines quicklebendigen Daseins erfreuen.
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