Ein Sprachmaniac
Über David Foster Wallaces literarische Qualitäten in dem Kurzgeschichtenband "Vergessenheit"
Von Thomas Blum
"Man kann nicht auf der Welt sein, ohne in Schmerzen zu leben, seelischen und körperlichen Schmerzen", meint David Foster Wallace. Man kann nicht sagen, dass es sich bei dem Mann um einen Optimisten handelt, und seine Prosa legt ein beredtes Zeugnis davon ab. Wir haben es hier mit einem besessenen Sprachmaniac zu tun, dessen Erzählen zugleich auch stets radikale Kultur- und Gesellschaftskritik ist, indem er die verborgenen Anteile einer Gesellschaft freilegt, die von der glatten, makellos scheinenden Außenseite nur notdürftig verdeckt werden. Und so lesen wir von Neurosen, von Gewalt und vom gescheiterten Leben. Wallaces beziehungsreiche, komplexe Prosagebilde, die ebenso Einsichten bieten in die Funktionsweise des kapitalistischen Medienbetriebs wie in die verdrängten Seiten der weißen, bürgerlichen Mittelklasse, sind nicht nur abgründige, satirische Geschichten, sondern - darin Bret Easton Ellis' Frühwerk nicht unähnlich - auch Zustandsbeschreibungen einer entseelten Moderne.
Wiederholt vorgeworfen werden dem Autor die Umständlichkeit und Langatmigkeit seiner Sätze, seine "wuchernden Satzmonstren" ("Die Welt"), ohne dass dabei wahrgenommen wird, dass es sich bei dem solcherart Monierten gerade um eine der literarischen Qualitäten handelt in einer vom allgegenwärtigen Gestammel der Medien bereits zur Gänze erfassten Gesellschaft. Zu den Stilmitteln, die Wallace bis ins Kleinste beherrscht, gehört die wortverliebte und mit fanatischer Präzision betriebene Schilderung eines Ambientes oder des Innenlebens einer Figur. Hinzu kommt anderes, das es dem verunsicherten Leser nicht leicht macht: Nichtlineares Erzählen, das virtuose Spiel mit Erzählperspektiven, ein deformiertes und gestörtes Figurenensemble. Nicht selten werden dem Leser zentrale Informationen, die er zum Verständnis der Geschichte benötigt, vorenthalten. Oder sie werden trickreich irgendwo im Text versteckt beziehungsweise erst am Ende der Story geliefert.
Für Leute, die an einem Lesestoff nichts anderes interessiert als ein möglichst reibungslos vonstatten gehender, "spannungsreicher" Plot, der anspruchslosen Zeitvertreib bietet, ist das nichts. Wer US-amerikanische Mainstream-Literatur haben will, ein bisschen Abenteuer, ein bisschen faden Oberflächenrealismus, der halte sich an Paul Auster oder an andere Leute seines Schlages.
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