Weltliterarische Kommunikationsästhetik

Anne Bohnenkamp und Matias Martinez' Band "Geistiger Handelsverkehr" beleuchtet komparatistische Aspekte der Goethezeit

Von Heidi-Melanie MaierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heidi-Melanie Maier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band, eine Festschrift zum Geburtstag von Hendrik Birus, versammelt insgesamt 21 Beiträge, die sich mit dem Goethe'schen Konzept der Weltliteratur auseinander setzen. Birus hat in zahlreichen Beiträgen zu deren Begriffsbestimmung wesentlich beigetragen. Es ist also naheliegend, in einer Festschrift Beiträge von Kollegen und Schülern zu versammeln, die der Birus'schen Version von Goethes Weltliteratur-Diskurs verpflichtet sind.

Weltliteratur meint demnach im Goethe'schen Sinne keine kanonisierte Auswahl internationaler literarischer Werke. Sie steht vielmehr für den Prozess internationaler literarischer Kommunikation, den Goethe in den 1820er-Jahren im Diskurs mit den Intellektuellen Frankreichs, Italiens, Englands, Schottlands, Russlands und nicht zuletzt Deutschlands entwickelte. Der Schwerpunkt der Definition verschiebt sich somit von einem kanonischen Ansatz zu einem rezeptions- und kommunikationsästhetischen. Dementsprechend divers sind Beiträge und Beiträger: Konzept und Begriffsgeschichte im Anschluss an Goethe kommen zur Sprache (Grotz, Worstbrock), oder es werden intertextuelle Bezüge zwischen Goethe und Russland, Korea, China, Japan, Schottland und Spanien untersucht (Avetisjan, Chon, Lehmann, Martínez). Außerdem wird den in den Werken Goethes inhärenten intertextuellen und interkulturellen Bezügen nachgespürt (Bosse, Fricke, Perels, Richter). Weltliteratur zwischen geistigem Handelsverkehr und Markenpiraterie beleuchtet Donat. Über das Verhältnis von Original und Übersetzung und Goethes Haltung dazu schreibt Friedrich Kemp in seinem Aufsatz "Übersetzen - wozu und wie?".Anne Bohnenkamp nimmt sich der gemeinhin unbekannten Tätigkeit Hamanns als Übersetzer an. Ruth Klüger trägt die Dankrede für den Lessingpreis 2007 bei. Und sogar die intermediale Übertragbarkeit von Puschkins Werken wird - nach dem Vorbild des Films "Shakespeare in Love" - untersucht. Generell überwiegt der positive Eindruck einer sehr facettenreichen Beleuchtung des "Geistigen Handelsverkehrs" im vorliegenden Band. Allerdings wäre der eine oder andere Weg auf dieser "Landkarte" durchaus verzichtbar gewesen.

Bedauerlich ist, dass dem Band die konzeptionelle Verankerung, die ein ausführliches Vorwort - im Gegensatz zu einem dreiseitigen - hätte leisten können, fehlt. Zwar bietet das ans Ende gesetzte Schriftenverzeichnis von Hendrik Birus viele Ansätze für weiterführende Recherchen. Doch die Chance, der Diversität der Beiträge ein Dach zu verleihen, das der Universalität des wissenschaftlichen Werkes des zu Ehrenden gerecht geworden wäre, bleibt ungenutzt. Trotzdem finden sich in diesem Band viele einzelne Beiträge versammelt, die dem literaturwissenschaftlich Forschenden mit insbesondere komparatistischem Interesse von Nutzen sein können.


Titelbild

Anne Bohnenkamp / Matias Martinez (Hg.): Geistiger Handelsverkehr. Komparatistische Aspekte der Goethezeit.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
464 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783835302464

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