Was soll ich mit Brillanten?

Ein tschechischer Erzähler, der den Abgründen entronnen ist: In dem Band "Sechs Tiger in Basel" sind erstmals Erzählungen von Jirí Weil gesammelt

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der tschechische Schriftsteller Jirí Weil (1900-1959) erlebte die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Als idealistisch gesinnter Jungkommunist übersetzte er in seiner tschechischen Heimat Texte russischer Avantgardisten. Eine Reise in das sowjetische "Vaterland aller Werktätigen" endete allerdings mit einer Aburteilung und Verbannung nach Kasachstan. Als Weil nach etlichen glücklichen Umständen Mitte der 1930er-Jahre wieder nach Prag gekommen war, stand Mitteleuropa bereits im Schatten der nationalsozialistischen Aggression.

Während seine Familie in den Vernichtungslagern ausgelöscht wurde, überlebte Weil im so genannten Protektorat Böhmen und Mähren nur durch Zufall. Er war in Prag untergetaucht und schlug sich bei Freunden durch, als Jude täglich der tödlichen Bedrohung durch Denunziation, Verhaftung und Ermordung ausgesetzt.

Doch auch nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 kehrte keine Ruhe in sein Leben ein. In den 1950er-Jahren wurden seine Bücher für viele Jahre nicht mehr veröffentlicht und aus den Bibliotheken entfernt, später erhielt er die demütigende Gelegenheit, Selbstkritik zu üben. Seine Romane "Moskau - Die Grenze" (1937) und "Leben mit dem Stern" (1949) verarbeiteten eindrucksvoll sowohl die Schrecken des Stalinismus als auch des Nationalsozialismus.

Der vorliegende Band vereint erstmals Weils Erzählungen. Die in fünf Gruppen aufgeteilten Texte spiegeln den geografischen, biografischen und auch ideologischen Weg wieder, den er zwischen den 1930er-Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1959 in Prag zurückgelegt hat.

Der erste Erzählzyklus "Die Reise nach Alma-Ata" beginnt im preußischen Berlin, von wo aus ein junger Mann sich in die Sowjetunion begeben möchte. Unschwer lässt sich hierin der begeisterte Revolutionär Weil erkennen. Die Reise findet tatsächlich statt und in Moskau staunt der Ich-Erzähler, dass statt revolutionärem Enthusiasmus eher eine Form von gegenseitiger Gleichgültigkeit herrscht. Die verehrten revolutionären Schriftsteller interessieren sich für Alkohol und nicht für den Aufbau des Sozialismus. Sergej Jessenin, der Dichter, schläft im Café unter dem Tisch seinen Rausch aus, während der Reisende aus Prag verdutzt, aber glücklich Jessenins Gips-Büste in die Hände gedrückt bekommt. Nach einem wüsten Aufenthalt in Moskau und einer turbulenten Schiffsreise nach Stettin endet die revolutionäre Exkursion: "Der Zöllner begann, mit dem Hämmerchen abzuklopfen. ,Was tun Sie da?', schrie ich. ,Sie zerschlagen ja die Büste, sie ist doch aus Gips.' ,Eben', sagte der Zöllner und hieb mit einem Schlag Jessenins Nase ab. ,Sie transportieren da drin Brillanten.' ,Sind Sie übergeschnappt?', schrie ich. ,Was soll ich mit Brillanten?' Aber der Zöllner ließ sich nicht beirren, er fuhr sorgfältig fort, die Büste zu zerschlagen, bis nur noch Splitter übrig blieben". Dem deutschen Zöllner war nicht nur die Enttäuschung anzumerken, nicht fündig geworden zu sein - er konnte überhaupt nicht verstehen, dass jemand die Büste eines russischen Dichters in seinem Gepäck mitnimmt.

Weils Sprache beherrscht die Klaviatur verschiedenartiger Töne, genauer Beschreibungen, Aufregungen sowie sachlicher Klarstellungen und unaufgeregten Geplauders. Ein gelegentlich durchscheinender Humor ist fast bis zur Unmerklichkeit gezügelt. Die Umstände der teils unfreiwilligen Reisen, wie die Verbannung nach Alma-Ata, der Besuch des Straßburger Münsters während der Nazi-Zeit oder auch der Schweiz im ersten Jahr nach dem Krieg ließen krachenden Klamauk einfach nicht zu.

Besonders tragisch, wenn auch ebenfalls eher nüchtern wie von einer "neuen Sachlichkeit" geprägt, sind die "Geschichten vom Transport" oder der "Klagegesang für 77.297 Opfer". Am poetisch dichtesten sind die "Farben" gestaltet - und lassen zugleich die Grausamkeiten der Judenverfolgung in den böhmischen Ländern auf gespenstische Weise Gestalt annehmen.

Die vorliegenden Erzählungen werden erstmals in deutscher Sprache vorgelegt. Die sorgfältige Aufbereitung dieses Erzählbandes ist auf ein eingespieltes Gespann von Herausgebern, Übersetzern und Literaturwissenschaftler zurückzuführen, die ihre bohemistische Kompetenz in weiteren Projekten bereits unter Beweis gestellt hatten.

In ihrem kundigen Nachwort "Von Menschen und Statuen - der Erzähler Jirí Weil" beschreibt Bettina Kaibach Weils Verfahren, "nur von dem zu erzählen, was er selbst erlebt hat". Ihre hervorragende Übersetzerleistung sorgt dafür, dass den Leser eine eindrückliche menschliche Stimme erreicht, die lange verstummt zu sein schien.


Titelbild

Jirí Weil: Sechs Tiger in Basel. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Bettina Kaibach.
Libelle Verlag, Konstanz 2007.
221 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783905707168

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch