"Das letzte Wort hat das Buch"
Hanjo Kesting hat einen Sammelband über Günter Grass und die Medien herausgegeben
Von Tobias Kurwinkel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht erst seit Günter Grass' Bekenntnis in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung anlässlich der Veröffentlichung seines biografischen Romans "Beim Häuten der Zwiebel", Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, steht der Schriftsteller, Bildhauer und Maler im Fokus des medialen Interesses: Die Wahlkämpfe für Willy Brandt in den 1960er-Jahren, der Vorwurf, Helmut Kohl betreibe "Geschichtsklitterung" oder die Äußerungen zu den Reaktionen von Muslimen auf die Mohammed-Karikaturen im Februar 2006 - Grass, der sich als einen "nicht politisch engagierten Schriftsteller, doch gleichwohl politisch engagierten Bürger" versteht, polarisiert.
Ein Buch, das den sich als Moralisten und politisch aktiven Intellektuellen inszenierenden Nobelpreisträger und die Reflexion dessen in den (modernen) Medien zum Thema hat, evoziert Erwartungen: "Die Medien und Günter Grass" ist der Titel eines Tagungsbandes, der Aufsätze internationaler Wissenschaftler vereint, die auf Einladung des "Bremer Medienarchivs Günter Grass" ihre Erfahrungen im September 2007 austauschten.
Die Aufsätze tragen zwar Titel wie "Die modernen Massenmedien und Günter Grass" oder "Kein Einzelfall. Die medialen Kampagnen gegen Günter Grass, Martin Walser und Peter Handke" - doch fällt bereits beim kursorischen Blick auf das Inhaltsverzeichnis auf, dass vor allem die Rezeption des Grass-Werks im Ausland behandelt wird. So finden sich Beiträge, welche letztere in Polen, in der Sowjetunion und in Russland, in Irland und in China nachzeichnen.
Das Bremer Medienarchiv dokumentiert die internationale Wirkung Grass' in den Medien, allen "voran in den elektronischen Medien", um die "Interaktion zwischen Literatur und Öffentlichkeit zu erforschen". In den Aufsätzen sucht man jedoch nahezu vergeblich nach den "elektronischen Medien" und den impliziten Fragen, die diese - und im Besonderen das Internet - aufgeben: Inwiefern verändern die modernen Medien die Rezeption eines zuvorderst literarischen Werks, wie reflektieren und zugleich manipulieren sie den öffentlichen Diskurs und welche Rolle spielt die bidirektionale Kommunikation, die ein hochgradig interaktives Medium wie das Internet ermöglicht?
Der Beitrag Florian Reinartzs, Doktorand und Stipendiat des Archivs, rechtfertigt das "nahezu" des vorhergegangenen Absatzes: In seinem kurzen Beitrag widmet er sich der öffentlichen Diskussion um Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS am Beispiel der Internetforen von tagesschau.de und ZEIT ONLINE. Reinartz zitiert exemplarische Beiträge einzelner User und zeichnet den Diskussionsverlauf nach, um nachzuweisen, dass das "erweiterte Argumentationsbild" einer Internetdiskussion in der Forschung "gewinnbringend" betrachtet werden kann und "in den Bereichen der Rezeptionsforschung, der Kultur- und Literaturkritik zunehmend Beachtung finden" sollte.
Anselm Weyers Beitrag "Der Ruhm als Untermieter. Die modernen Massenmedien und Günter Grass" denkt gelungen über die Bandbreite der verschiedenen Medien aus produktiver wie auch rezeptiver Perspektive nach - und gibt implizit eine Kategorisierung vor, die für den Tagungsband als strukturierende Vorgabe wünschenswert gewesen wäre. Über McLuhans Satz von dem Medium als Botschaft denkt Weyer über die Medien nach, mit denen Grass arbeitet, kontrastiert die "langsame, mit dem Begriff der Ewigkeit operierende Literatur" mit den modernen Massenmedien und dem daraus resultierenden tagesaktuellen Diskurs, um über letzteren zur medial agierenden Person Grass zu kommen.
Am Ende bleibt auch hier die Botschaft des Bandes stehen, die Hanjo Kesting Grass zitierend vorgibt, wenngleich Weyer sie mit der Hoffnung auf Archivierung der Massenmedien und damit auf eine "gehaltvollere" Rezeption verknüpft. Solange gilt: "Das letzte Wort hat das Buch."
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