"Schön und bedeutend, aber auch drückend und belastend"

Dagmar von Gersdorff beleuchtet das Leben von Goethes Enkeln

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Goethes Mutter", "Goethes erste große Liebe Lili Schönemann", "Goethes späte Liebe Ulrike von Levetzow", "Marianne von Willemer und Goethe" oder "Die Erde ist mir Heimat nicht geworden. Das Leben der Karoline von Günderode" heißen die Bücher, mit denen die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Dagmar von Gersdorff einem breiten Leserkreis bekannt geworden ist. Mit profunder Sachkenntnis widmet sich von Gersdorff nun den drei Goethe-Enkeln Walther, Wolfgang und Alma. Herausgekommen ist, um es gleich vorweg zu sagen, nicht zuletzt dank ihres unprätentiösen Stils, der Distanz mit Empathie zu verbinden weiß, ein gleichermaßen informatives wie anschauliches Lebensbild der Enkel und durch sie auch indirekt der Eltern, vor allem der Mutter Ottilie. Die Umstände als Sohn, Schwiegertochter und Enkel des großen Dichterfürsten einen Platz in der Weimarer Gesellschaft einzunehmen, schienen auf den ersten Blick günstig. Doch nur auf den ersten Blick.

Für Walther, Wolfgang und Alma war es eine schwere Bürde, Enkel des Dichters zu sein, wie es offensichtlich auch für August schwierig war, als Sohn des Weimarer Olympiers zu leben. Nicht allzu glücklich scheint auch Ottilie, vor allem mit ihrer Ehe mit August, gewesen zu sein.

Was Goethes "genialer Arzt" Dr. Vogel mit Blick auf die misslungene Musikerkarriere des großherzoglichen Kammerherrn Walther von Goethe festhält, gilt für dessen Geschwister wie auch seine Eltern wohl nicht minder: "Der große Name war schön und bedeutend, aber auch drückend und belastend." Je älter die Enkel wurden, desto mehr empfanden sie den langen Schatten des Großvaters als unangenehm.

Noch lange nach dem Tode des Großvaters fühlten sie sich eher als "Hühnchen" im Schatten eines "Hünen", wie der gescheiterte Diplomat und Dichter Wolfgang Goethe einst "verbittert" bemerkte.

Zu Lebzeiten des geliebten Großvaters bietet seine Fürsorge ein gewisses Refugium für Walther, Wolfgang und Alma, denn die Ehe ihrer Eltern August von Goethe und Ottilie von Pogwisch ist alles andere als glücklich. Der eher biedere August ist "mit seinen verschiedenen Funktionen als Kammerrat des Großherzogs, Sekretär, Verwalter, Stellvertreter des Vaters und wirtschaftlicher Organisator von zwei Haushaltungen fast immer überfordert", die "notorisch unordentliche", finanziell stets über ihre Verhältnisse lebende sieben Jahre jüngere "adelsstolze" Ottilie stolpert von einer Affäre in die nächste. Auch wenn sie in der ersten Zeit nach ihrer Heirat im Jahr 1817 - nachdem ein Jahr zuvor Christiane Vulpius, die "Zumutung" für die adlige Verwandtschaft, gestorben war - nach außen ein glückliches Paar abgeben, scheint die Harmonie von vornherein nur zur Schau gestellt, notiert doch Ottilies Freundin Adele Schopenhauer in ihr Tagebuch: "Ottilie hat ihn lieb, liebt ihn aber nicht."

Knapp zehn Monate nach der Hochzeit kommt im April 1818 mit Walther Goethes erster Enkel zur Welt. Goethe "flieht" kurz vor der Geburt Walthers nach Jena, wie auch vor der Geburt des zweiten Enkels 1820 - ein Wesenszug, der bei Goethe häufig sichtbar wird, "wenn es um Leiden und Krankheit" geht. Doch zur Taufe ist Goethe wieder da und überbringt "zusammen mit einer Anzahl farbiger Steine, ein eigens für das Neugeborene geschaffenes Gedicht: ,Wiegenlied dem jungen Mineralogen'". Und zur Geburt des Enkels Wolfgang dichtet Goethe - durchaus doppeldeutig - für die Schwiegertochter: "Deiner Treue seis zum Lohne, / Wenn du diese Lieder singst, / Daß dem Vater in dem Sohne / Tüchtig-schöne Knaben bringst."

Die "tüchtig-schönen Knaben" erhalten im Oktober 1827 mit Alma eine Schwester und nach dem Tod ihres Vaters August (1830) und dem Tod des Großvaters (1832), 1835 mit Anna Sibylle noch eine Stiefschwester. Hat Ottilie schon zu Lebzeiten Augusts, den sie nur als "Stoffel" betrachtet, mehrere längere Liebesverhältnisse, die die Ehe stark gefährden, so sorgt sich die Umgebung nach Augusts Tod vor allem auch um die Erziehung der Kinder durch Ottilie. Während Alma bereits mit knapp 17 Jahren in Wien an Typhus stirbt, haben die beiden homosexuellen Söhne in zunehmendem Maße unter der "Herrschsucht" Ottilies zu leiden. Beide Goethe-Enkel sind - nicht zuletzt gemessen an den großen Wünschen und Ansprüchen des Großvaters - letztlich erfolglos geblieben.

Und doch sind gerade Walther und Wolfgang wenigstens in einer Beziehung würdige Sachwalter ihres Großvaters geworden. Vor allem Walther ist es zu verdanken, dass der Nachlass durch den Verkauf an den Deutschen Bund nicht zersplittert wurde. Das Goethehaus selbst blieb der Öffentlichkeit mehrere Jahrzehnte verschlossen, aber Walthers Testament machte es 1885 möglich, dass Goethes Sammlungen und Immobilien an das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach übergingen. Großherzogin Sophie wurde Erbin des Familienarchivs - die Basis für die späteren textkritischen Ausgaben sowie die Erhaltung der Gedenkstätten.


Titelbild

Dagmar von Gersdorff: Goethes Enkel. Walther, Wolfgang und Alma.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
286 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783458173922

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