Zu dieser Ausgabe

Die Sexualität ist und bleibt ein Thema, dem sich niemand entziehen kann. Frühere Tabus mögen gefallen sein, doch dafür sind neue entstanden, die man wahrscheinlich erst in späteren Zeiten nüchtern betrachten wird. Während sich Judith Butlers Erkenntnis durchgesetzt hat, wonach uns unser Körper ‚nie ganz gehört‘, weil wir ihn stets in Auseinadersetzung mit unhintergehbaren, gesellschaftlichen und sprachlichen Setzungen zu inszenieren versuchen, schauen sich die Massen fröhlich und ohne jeden kritischen Hintergedanken weiter Heidi Klums Sendung „Germany’s Next Topmodel“ bei „Pro Sieben“ an und finden Lesben höchstens dann cool, wenn sie auch „gut aussehen“.

Die sublimen, oft aber auch gewaltsam spürbar werdenden Wandlungen öffentlicher Vorstellungen darüber, wie Sexualität ausgelebt werden dürfe oder solle, haben ihre Kommentierung in den Künsten und der Literatur gefunden – mal affirmierend, mal subversiv oder auch als offene Polemik gegen bestehende Diskurse. Literaturkritik.de hat den Themen Liebe und Erotik im Lauf der Jahre deshalb immer wieder Schwerpunkte gewidmet, zuletzt 2005. Diesen Monat ist es also einmal wieder soweit, und wir fangen zunächst einmal mit Sex an. Zum Thema Liebe kommen wir dann noch in der Juli-Ausgabe.

Doch es gibt auch noch einen weiteren Schwerpunkt der neuen Ausgabe, den Essays und Kommentare von prominenten Kennern zum 80. Geburtstag von Jürgen Habermas ausmachen. Habermas, der sich in Marburg bei dem sozialistischen Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth habilitierte, einem „Partisanenprofessor im Lande der Mitläufer“ (Habermas; vgl. auch seinen Artikel in literaturkritik.de 5/2006), gilt heute vielen als gemäßigter Erbe der Frankfurter Schule. Er ist aber jemand, dessen damalige marxistische Umorientierung Einsichten vermittelte, die zu Zeiten einer neuen globalen Wirtschaftskrise aktueller denn je erscheinen.

Anregende Lektüre wünscht Ihnen
Ihr
Jan Süselbeck