Im Schatten des Stahlmagnaten

Lea Singers Roman „Konzert für die linke Hand“ beschreibt das Leben des einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein

Von Natascha KriegRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natascha Krieg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Wittgenstein hatte in vielerlei Hinsicht einen bemerkenswerten Lebensweg: Als Sohn des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein wächst er zusammen mit seinen acht Geschwistern, in einem der ersten Häuser Wiens auf, das die bekanntesten Künstler, Musiker und Schriftsteller der Zeit förderte. Im Ersten Weltkrieg verliert er seinen rechten Arm, führt seine Karriere als Pianist jedoch fort. Er transkribiert Stücke für die linke Hand und gibt bei Komponisten wie Sergei Sergejewitsch Prokofjew, Maurice Ravel und Paul Hindemith Klavierkonzerte in Auftrag. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wandert er als katholisch getaufter Jude in die Vereinigten Staaten aus und heiratet dort seine Geliebte Hilde Schania, die blinde Tochter eines Wiener Schaffners.

Trotz Begabung und außerordentlicher Herkunft bleibt sein Leben ein Ringen um Anerkennung. Der übermächtige Vater scheint auch nach seinem Tod die Geschicke Pauls und seiner Geschwister zu bestimmen. Die eigenmächtige Entscheidung, Pianist zu werden, bleibt lange mit Zweifeln behaftet. „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“ Die These Arthur Schopenhauers stellt Lea Singer wie ein Damoklesschwert über die Entscheidungen, die die Wittgenstein-Kinder für sich treffen.

Der Roman zeichnet die geschichtlichen Ereignisse aus Politik und Musik vom Fin de Siècle bis kurz vor den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach. Außerdem die Familientragödie der Wittgensteins geschildert, in der drei der acht Geschwister in jungen Jahren Selbstmord begingen, hervorgerufen durch die zwischenmenschliche Kälte, den Konkurrenzkampf und die Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse, die der Vater seinen Kindern abverlangte.

Die Schicksalsschläge der Wittgensteins, wie die Selbstmorde der Brüder oder der Tod des Kindes und der Geliebten Pauls, bleiben dem Leser seltsam fern. Das persönliche Leid der Figuren wird, getreu der Familienatmosphäre, immer kühl und ohne Gefühlsausdruck aufgenommen. Dadurch bleiben die Figuren unzugänglich. Nähe entsteht nicht, da die Familie ihrem strengen Charakter zu sehr verhaftet bleibt. Die Mutter Leopoldine ist eine hochsensible, aber kalte und unnahbare Mutter, die ihrem Sohn zeitlebens die Anerkennung als Pianist verweigert. Die Tochter Hermine verkörpert stets die alte Jungfer, die engherzig die Moral des Hauses hütet. Die verbleibenden Geschwister stehen in einem unablässigen Konkurrenzkampf miteinander.

Singer bewegt sich im „Konzert für die linke Hand“ auf vertrautem Terrain. Als promovierte Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaftlerin hat sie schon in früheren Publikationen wie „Wahnsinns Liebe“ (2003) oder „Vier Farben der Liebe“ (2006) die Donaumetropole um die Jahrhundertwende zum Thema gemacht. Da die Autorin nah an den Ergebnissen ihrer Recherche bleibt, ist das Buch in historischer und musikgeschichtlicher Hinsicht interessant. Die Figuren aber bleiben in ihrer Präsenz und Überzeugungskraft hinter den großen geschichtlichen Ereignissen zurück.

Titelbild

Lea Singer: Konzert für die linke Hand. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008.
463 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783455401295

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