Drogenkriege

Alexander Schwarz entwirft in seinem Marseille-Krimi „Flip Rouge“ ein kompliziertes Strategiespiel

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Reihe von Todesfällen ereignet sich in Marseille, die offensichtlich auf eine neue Droge zurückzuführen sind. Die Süchtigen kollabieren und zermalmen dabei ihre Zunge zwischen ihren Zähnen. Ein Wattebausch mit einer roten Flüssigkeit steckt in ihrer Nase. Eine neue Droge mit ungekannten Wirkungen sorgt zunächst nur für ein paar Tote. Das aber ist nur die eine Seite.

Drogen wechseln einander ab, Drogenkartelle auch, die Konsumenten geben den Takt an, und die Kartelle nutzen es oder gehen unter. Das wusste Mario Puzo bereits und mit ihm Vito Corleone, und nun weiß es auch Kommissar Luc Garnier. Nur wer den Drogen folgt, folgt den Geldströmen, und nur wer den Konsum kontrollieren kann, kann auch die Geldströme kontrollieren.

Das scheinen kolumbianische Drogenkartelle bereits lange verstanden zu haben (zumindest in der Welt dieses Marseille-Krimis), denn sie bereiten den Machtwechsel, der nun stattfindet, anscheinend schon seit Jahren vor. Nun ist es soweit. Eine neue Droge überschwemmt den Markt, anscheinend derart attraktiv, dass die spektakulären Todesfälle dem Erfolg nicht im Wege stehen.

Drei örtliche Drogenbarone hingegen, die den Marseiller Markt seit Jahrzehnten beherrschen, sorgen sich um ihren Markt, seitdem die alten Drogen aus der Mode geraten sind. Woher die neuen Drogen kommen, welche Wege sie gehen, wissen die lokalen Gangs nicht. Außerdem sind ihre eigenen Vertriebskanäle mittlerweile ausgedient. Sie müssten sich etwas neues einfallen lassen.

Bevor es aber dazu kommt, werden sie kurz nacheinander von Auftragskillern umgebracht. Die Szene ist in Aufruhr. Eine Revolte oder ein Einbruch von außen, was vorerst nicht zu entscheiden ist.

Alexander Schwarz entwirft ein mehrschichtiges Handlungsgewebe, bei dem die Motive und Aktionen, die Opfer und die Täter ununterscheidbar nebeneinander stehen. Die Ermittler stehen vor einzelnen Vorkommnissen, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.

Die Drogentoten, die ermordeten Drogenbosse, die neue Droge – das könnte noch irgendwie zusammen gehören. Was hat das aber damit zu tun, dass die Tochter von Kommissar Garnier einen ihrer Kellnerkollegen als einen seit langem gesuchten Mörder erkennt und ihren Vater anruft. Seit Jahren hing das Foto des Mannes über dem Schreibtisch Garniers – was die Frage aufwirft, weshalb der Kommissar seine Arbeit auf diese Weise mit nach Hause nimmt. Das hätte ihm seine Frau (mittlerweile verstorben) verbieten sollen. Nun aber hilft es, immerhin.

Warum ruft der Kellner aus der Schweiz aber immer wieder in Marseille an? Und warum nimmt der „Admiral“ genannte Mann, den er anruft, nicht ab? Nachdem man den Kellner geschnappt hat und der Admiral auf dem Transport ins Krankenhaus – ein Junkie am Ende seiner Karriere – gestorben ist, scheint dieser Handlungsstrang am Ende zu sein.

Denn was hat er wiederum mit der Erzählung um eine junge Frau namens Jill zu tun, die ihrem Freund nach Marseille nachreist, dort eine zweite Frau namens Jacqueline trifft und zwei junge Männer, Abdul und Leo, mit denen sie die kommenden Wochen und Monate verbringt?

Und dann schließlich noch der alte Kollege Garniers, Marc, der offensichtlich krank ist und seit vielen Jahren von seiner Frau Odile geschieden ist? Warum ist es wichtig herauszufinden, was vor langer Zeit in einem Bordell in Nizza geschehen ist?

Auf knapp 250 Seiten entwickelt Alexander Schwarz ein verwirrendes, immer wieder Seitenwege einschlagendes Geflecht von Geschichten, die nirgendwohin zu weisen scheinen und deren Zusammenhang selbst beim Briefing der Ermittler überaus schwach erscheint. Die Schnitte, die Schwarz dabei vornimmt, sind hart, die Szenenwechsel, die er seinen Lesern zumutet, sind unvermittelt. Der Zusammenhang, den am Ende die Lektüre stiften muss, ist von ihm nur lose geknüpft. Zwar lässt auch Schwarz – wie es gute Sitte ist – seine Bösewichter am Ende einiges ausplaudern. Aber eben nicht alles, denn auch wenn Schwarz uns zum Schluss mit einer Lösung und einer Erklärung bedient, lässt er doch große Teile seines Entwurfs unerklärt und offen.

Das lässt auf ein Konzept schließen, in dem es eine Gesamterklärung der Vorkommnisse in dieser Marseille-Welt nicht geben soll. Das lässt vermuten, dass Schwarz keine angeblich große Lösung bieten will, die am Ende doch wieder nur ein paar halbgare Bösewichter an die literarischen Richter ausliefert. Das lässt auch erkennen, dass es Schwarz seinen Lesern nicht übermäßig einfach machen will.

Titelbild

Alexander Schwarz: Flip rouge. Marseille-Krimi.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2009.
256 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865321268

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