Der Philosoph und die Hohenpriesterin von Bloomsbury

Bertrand Russell und Lady Ottoline Morrell im Irrgarten der Liebe

Von Michael WegmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Wegmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"It´s just the same old story a fight for love and glory": die Botschaft Dooley Wilsons, verkündet in "Casablancas" legendärer Piano-Szene, könnte ebenso gut das Leitmotiv für Bertrand Russells und Lady Ottoline Morrells Liebesgeschichte sein. Freilich ist der Schauplatz dieses Paarlaufs keine marokkanische Hafenstadt, sondern das London des 20. Jahrhunderts (sowie weitere nationale und internationale Lokalitäten). Dass für die Choreografie dieser hoch dramatischen Liebes- wie Leidens-Chronique scandaleuse eine profunde Anglistin und Kunstgeschichtlerin, Ursula Voß, verantwortlich zeichnet, lässt jene "Liebe wider die Philosophie" (so der Untertitel) zu einem verwirrend-beglückenden Leseabenteuer werden.

In der Spätphase jener Beziehung, die - sieht man einmal vom wirkungsmächtigen Nachleben ihrer Persönlichkeit auf die Vita des großen Mathematiker-Philosophen ab - mit Ottolines Tod 1938 endete, vergleicht der dritte Earl Russell sich und seine Freundin scherzhaft-elegisch mit "zwei schiffbrüchigen Seeleuten aus viktorianischer Zeit, an die Gestade des zwanzigsten Jahrhunderts gespült". Begonnen hatte beider Liaison wohl an einem jener Londoner Märztage des Jahres 1911 am Bedford Square, wo die so sehr gegen aristokratisches Establishment sich auflehnenden - wie zugleich der Privilegien nicht abgeneigten - Rebellen schon zu Queen Victorias Zeiten erste zarte - nun sagen wir mal: atmosphärisch ungemein dichte Seelenbande knüpften.

Es gelingt Ursula Voß nicht nur meisterhaft, die Irrungen und Wirrungen eines an sich selbst und den Zeitläuften oft genug (ver-)zweifelnden, prominenten Paares souverän nachzuzeichnen und seine Obsessionen und Projektionen, verhängnisvollen Affairen und Vexierspielereien darzustellen; sie belässt - und dies ist nicht gering zu achten - Morrell und Russell ihre Würde, erliegt nie der Versuchung geschwätziger Indiskretion, nie einem effektheischenden Voyeurismus. Dafür lässt sie die Liebenden, Hassenden ausgiebig zu Wort kommen und sie - nicht selten, freilich - sich selbst entzaubern.

Dies gilt, selbstredend, auch für die Person des aufgeklärten - und Ottoline gern über ihre Seele aufklärenden Humanisten und nachmaligen Nobelpreisträgers Bertrand ("Bertie") Russell: Ein Wort von Karl Jaspers, wonach bedeutende Männer immer auch gewöhnliche Männer sind, findet sich ausdrucksvoll in Russells "seelenvampirischer" Selbsteinschätzung bestätigt. Und so lässt sich denn der Chronistin Liebeslebensgeschichte zweier faszinierender Persönlichkeiten als gesellschaftliches Sittengemälde farbensatt mit luzid leuchtendem Zeitkolorit, als "who is who" englischer Kultur- und Geistesgeschichte, doch nicht zuletzt auch als Paradebeispiel weiblichen Selbstbehauptungswillens gegenüber männlichem Hegemonialstreben im Großen wie Kleinen lesen. Kampf und friedliche Koexistenz der Geschlechter und vielleicht auch noch ein bisschen mehr.

Titelbild

Ursula Voss: Bertrand Russell und Lady Morrell.
Rowohlt Verlag, Berlin 1999.
160 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3871343102

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