Ich schreibe, also bin ich

Susanne Elpers wirft einen Blick auf die autobiografische Schreibpraxis von Frauen der Avantgarde

Von Verena RongeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Ronge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schlägt man im „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“ unter dem Stichwort „Autobiographie“ nach, so findet sich folgender Eintrag: „Eine Autobiographie ist ein nichtfiktionaler, narrativ organisierter Text im Umfang eines Buches, dessen Gegenstand innere und äußere Erlebnisse sowie selbst vollzogene Handlungen aus der Vergangenheit des Autors sind.“ Laut Definition ist ein autobiografischer Text damit die auf Fakten beruhende, in Worte gefasste Niederschrift bestimmter Ereignisse. Frei nach dem Motto „Wie ich wurde, was ich bin“ trifft der Leser in solchen Texten auf einen Autor, der ihm einen scheinbar exklusiven Blick auf sein Leben und seine Persönlichkeit gewährt. Doch bereits Johann Wolfgang von Goethe hat in seiner mit dem aussagekräftigen Titel „Dichtung und Wahrheit“ versehenen Autobiografie auf die Fiktionalität der scheinbar nichtfiktionalen Texte verwiesen.

Diesen Hinweis auf die Literarisierung und Fiktionalisierung autobiografischer Texte greift Susanne Elpers in ihrer Arbeit auf und überträgt ihn in die Gegenwart – genauer gesagt auf die Texte der Avantgarde. Basierend auf der Vorstellung einer in der Moderne immer schon virulent gedachten Identität nimmt sie diese Werke zum Ausgangspunkt, um das Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit, zwischen Fakt und Fiktion, genauer zu untersuchen. Sie geht von der These aus, dass die autobiografischen Texte avantgardistischer Autoren keine kohärenten Lebensbeschreibungen mehr liefern, sondern vielmehr ein inhaltliches und sprachliches Spiel mit „Realitätspartikeln“beziehungsweise eine Reflexion über die generelle Unmöglichkeit der Herstellung einer essentialistisch gedachten Identität in Gang setzen. Vor diesem Hintergrund erweist sich das von ihr als Analysekategorie in Anschlag gebrachte Konzept des Spiels als besonders fruchtbar, da durch diesen Zugriff deutlich wird, dass das Subjekt weniger „schreibendes Organisationszentrum“ des Textes ist, als vielmehr Teil des Spiels um ästhetische Selbstvergewisserung. So gelingt es Elpers, das in den avantgardistischen Texten immer schon eingeschriebene Problem der Identitätsherstellung fassbar zu machen und auf Textebene nachzuweisen.

Die Texte, die dabei in den Fokus rücken, sind die autobiografischen Werke von Gertrude Stein, Claude Cahun und Kay Sage. Indem Elpers ausschließlich weibliche Autorinnen untersucht, räumt sie einerseits mit der Vorstellung auf, dass es sich bei der Avantgarde um eine von Männern dominierte Bewegung handele. Andererseits verweist sie darauf, dass mit der Abkehr von der Idee einer essentialistischen Identität auch die Vorstellung eindeutiger Geschlechteridentitäten ins Wanken gerät. Somit sind es gerade die autobiografischen Schriften weiblicher Autorinnen, die eine Reflexion über den „meist als marginal empfundenen bzw. tatsächlich […] so verorteten Status des weiblichen […] Geschlechts“ ermöglichen und die Infragestellung der Geschlechterverhältnisse zugleich vorantreiben.

Obwohl an einigen Stellen sowohl eine weitergehende Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen beziehungsweise Konzepten wie dem Diskurs mit zwei Stimmen oder dem Motiv des Spiegels als Medium männlicher Identitätsherstellung als auch ein Exkurs über die Ein- und Ausschlussmechanismen der (männlich dominierten) Kunstproduktion wünschenswert gewesen wäre, bietet Elpers eine fundierte Analyse der autobiografischen Werken der genannten Autorinnen, die nicht nur für feministisch interessierte oder orientierte Leserinnen und Leser von Interesse ist. Zudem liefert sie einen wichtigen Beitrag zur Anerkennung weiblicher Schriftstellerinnen, da vor allem der Blick auf die weitgehend unbekannten Autorinnen beziehungsweise Künstlerinnen Cahun und Sage zu einer Erweiterung des literaturgeschichtlichen Kanons führt.

Titelbild

Susanne Elpers: Autobiographische Spiele. Texte von Frauen der Avantgarde.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2008.
284 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783895286766

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