Unglaublich stark – und perspektivlos

Terézia Mora überzeugt mit ihrem zweiten Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Darius Kopp, der Protagonist in Terézia Moras neuem Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ ist einer dieser Langweiler, die die Literatur einer jüngeren Generation von Autoren im deutschsprachigen Raum bevölkern. Doch es sind Langweiler, die uns interessieren. Sei es Jakob Walter (in „Hier im Regen“ von Lorenz Langenegger), Herr Blanc (im gleichnamigen Roman von Roman Graf), Finn Linder (in „Maus im Kopf“ von Sandra Hughes) oder jetzt eben Darius Kopp – es sind Figuren, die auffallen durch ihre Unauffälligkeit, sie leben ein unspektakuläres Leben, richten sich ein und verspüren diese Sehnsucht, dass es doch noch etwas anderes geben müsste, auch wenn sie sich dies nie eingestehen würden.

Kopp ist Anfang 40, verheiratet und alleiniger Vertreter einer US-amerikanischen Firma für drahtlose Netzwerke in den Ländern Mittel- und Osteuropas – „ab heute bin ich der einzige Mann auf dem Kontinent“. Er hat sich eingerichtet, der Sex mit Flora ist gut, von Ermüdung keine Spur, zumindest würde man davon nichts wissen wollen. In der Firma läuft der Tag nach seinen Bedürfnissen ab, er kann den Morgen noch mit Flora verbringen, denn auch sie muss erst gegen Mittag an ihren Arbeitsplatz. Dass sie im Coffeeshop – kein Traumjob – bis spät am Abend arbeiten muss, kommt ihm entgegen, denn er bleibt häufig an seinem Computer hängen und vergisst dann auch, sich bei ihr zu melden, was sie ihm übel nimmt. „So leben sie seitdem. Man könnte sagen: in Balance. Manches bleibt heikel. Eine Weile läuft es gut, dann passiert wieder etwas.“ So hat Darius Probleme mit einem seiner Kunden, der nicht bezahlen will. Beziehungsweise ihm einen Anteil des Geldes in einer Pappschachtel ins Büro bringt. Doch was soll er damit tun? Wegen des Geldwäschereigesetzes kann er das Geld nicht einfach auf das Firmenkonto überweisen. Und bei seinen Versuchen, Kontakt mit den Firmenvertretungen in London oder San Francisco aufzunehmen, bleibt er erfolglos: niemand geht ans Telefon.

Doch Kopp ist nicht ein Mensch, der sich schnell aufregt. Wenn er genügend zu essen hat – er ist ein korpulenter Mann, auch da sieht er einem Herrn Blanc oder Finn Linder ähnlich –, findet er rasch wieder zu seiner Sicherheit zurück.

Trotzdem, die Beunruhigung lässt sich immer weniger wegstecken. Und als er von seiner Schwester nach Hause beziehungsweise zur Mutter ins Spital gerufen wird, geht ihm so einiges durch den Kopf, neben dem Ärger, dass er wieder einmal für eigentlich nichts dem Ruf der Familie gefolgt ist. Denn was ist das für ein Leben, das er da führt? Und wie stabil sind diese Welten, in denen er lebt? Die Firma bricht auseinander, seine Ehe mit Flora bröckelt, die Freundschaften sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

Kopp, der aus der DDR stammt und nach deren Zusammenbruch als Informatiker ein gefragter Mann war, steht vor dem Nichts, nachdem Flora ihn schließlich verlassen hat. Und es bleibt offen, ob er so viel Energie aufbringen wird, sich aufzurappeln und das Leben wirklich zu leben.

Terézia Mora erzählt in „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ eine Woche in Darius Kopps Leben, von Freitag bis Freitag – die Kapitel sind mit den Wochentagen überschrieben und in „Der Tag“ und „Die Nacht“ aufgeteilt. In diese Woche sind die Rückblenden eingebaut. Es gelingt Mora, das Interesse für ihren langweiligen Protagonisten vom ersten Satz an zu wecken, und wir verfolgen mit wachsender Spannung seinen Weg in alle Winkel und Ecken. Doch Kopp ist keine Identifikationsfigur, auch zu Flora empfindet die Leserin in erster Linie Distanz. Und trotzdem interessiert die Geschichte. Denn da ist eine Sprache, die überzeugt. Terézia Mora erzählt ganz nahe an ihren Figuren, die Sprache gestaltet die Figur, beide reißen uns mit. Der Wechsel zwischen dritter und erster Person, die unvollständigen Sätze, die harten Schnitte – sie lassen eine Dynamik entstehen, die im Widerspruch zur oberflächlichen Eintönigkeit dieses Lebens steht, in dem es jedoch brodelt. Hier einen Platz zu finden, ist nicht nur für Kopp und Flora eine Herausforderung.

Titelbild

Terézia Mora: Der einzige Mann auf dem Kontinent. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
380 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783630872711

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