Ein Glücksfall

Über Nora Gomringers Gedichtband „Klimaforschung“

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neulich im Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee: ein Glücksfall. Nun sind Glücksfälle an diesem speziellen Ort – fast – die Regel, aber eben nur fast und man rechnet nicht immer damit. Große Namen, und der Name Gomringer ist das ohne Zweifel, erwecken ja leicht Argwohn, ob der, der ihn gleichfalls trage, ihm Ehre mache. Bei Nora Gomringer, der Tochter Eugen Gomringers, ist das aber der Fall – der Glücksfall des Colloquiums.

Begeistert von der Lesung las ich sofort die Texte der Dichterin, und in der Tat, im letzten Gedichtband, Klimaforschung ist er betitelt, kann man sich von den Qualitäten – und nun nachhaltig – überzeugen: Nora Gomringer verfügt in ihrem Repertoire über verschiedenste Stimmlagen, wie auch die beigefügte CD zeigt, auf der die Dichterin sich als Vortragskünstlerin erweist. Und sie ist zugleich mit Traditionen und Texten vertraut, wobei die Kennerschaft hier nie mit Abgebrühtheit einhergeht.

In „Shibolet“ etwa wird das Kennwort, das qua Aussprache die einen von den anderen scheidet, behandelt: „Röchle, was uns trennt“, so schließt der Text, der die Sicherheit als Terror enttarnt. Direkt gegenüber wird zugleich gezeigt, dass jene Sehnsucht nicht per se falsch ist, Heimat zu haben – ein Herz „(k)önnte Eden beherbergen“, es müßte, so meint man da zu vernehmen. Der „Glücksfall“ und der „Unfall“ sind da plötzlich eins.

So wird hier Unschuld als Schuld gezeigt, zugleich aber das Unschuldige geborgen, so beim Frosch, dessen Schallblasen freudig umgedeutet werden: „rotwangig der Frosch“. Ohne Immanenz und ohne Hörer endet das lyrische Ich dagegen als Kassandra, ist aber doch auch dies, mit dem Kind, so die Mutter jener Ich-Konstruktion, sei ein „hölzernes Pferd / In die Mauern“ geraten: „Papa ringt jetzt / Mit den Schlangen / Am Strand“. Diese Engführung, die belesen zitierend – in einer Variante auch sozusagen mit Grimm – ins Archetypische dringt, ist verstörend. Nicht minder verstörend ist, wenn in einem Ineinander der Wunsch auf eine Reaktion des Partners wörtlich genommen wird, was sich zugleich als Hoffnung und Abgrund lesen lässt: „Über Nacht / Bist du oxidiert / Neben mir // Hast auf mich reagiert / Bist rostig geworden.“

Der Text möchte den Leser reagieren lassen, wie auch er „ein Brand in mir“ sei, das Gedicht Gomringers möchte und kann es. Fast kokett ist es, wenn jemand mit diesen Möglichkeiten eine performance ankündigt, aber dann alsbald schließt: „So wird das natürlich nichts“. All das, ohne, dass das Rosten nun ein Verbrauchtsein wäre, wie auch der Text unverbraucht bleibt, indem er wie ein Katalysator jene Reaktionen bleibend befördert, zu denen er ein Anstoß ist, ein katholisches Moment dieser konkreten Poesie, „die alte Wahrheit mit neuen Zungen [zu] sagen“, wie es bei Karl Rahner heißt.

An diesem Punkt spätestens sieht man, dass Nora Gomringers Poesie nicht nur erstaunt, sondern auch sich selbst überrascht. Sie weiß, wie das Spiel laufen müsste, und doch geht es ihr und der Lyrik selbst so, dass, was passiert, „ganz erstaunlich und unerwartet“ ist, auch wenn man „abgeklärt und aufgeklärt und alles“ ist, wie es in einer Suada heißt, die zuweilen fast zur Liebeserklärung wird.

Also man sollte sich in die Verwicklungen dieser Poesie hineinwagen, darin eines Ichs „Herz […] das Wollknäuel / Der Ariadne“ ist, „rot durch das Labyrinth / Gefieselt“: Der Faden wird zum Rhizom gesplisst, wandelt sich zu dem, was er nicht mehr anders denn momentan ordnen kann. Diese Momente machen die Lektüre lohnenswert. Sonst wird das natürlich nichts, wegen des Lesers, der diese Schuld mit dem Verpassen dieses Lektüreerlebnisses teuer bezahlt.

Titelbild

Nora Gomringer: Klimaforschung.
mit CD.
Verlag Voland & Quist, Dresden ; Leipzig 2008.
96 S., 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783938424322

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