Die Hälften des Hirns

Der Schweizerische Verband für Frauenrechte feiert sein 100-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumsband

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Vor nunmehr einhundert Jahren wurde der „Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht“ gegründet. Das ist natürlich ein Grund zu feiern, und der Verband begeht das Jubiläumsjahr unter anderem mit einem Band zur Geschichte des schweizerischen Kampfes um das Frauenstimmrecht, der somit nicht zuletzt einer zur eigenen Geschichte ist.

Nach den in solchen Fällen obligaten Geleitworten, die hier von Ruth Dreifuß unter dem Titel „mit brennender Geduld“ ausgesprochen werden, eröffnet Caroline Arni den Band mit einem Beitrag zu „Republikanismus und Männlichkeit in der Schweiz“. Dass sie gleich in den ersten Zeilen Paul Julius Möbius’ frauenfeindliche Ausfälle über den „physiologische[n] Schwachsinn des Weibes“ und Rosa Mayreders Wort von der „primitiven Männlichkeit“ in einem Atemzug als gleichrangige Zeugnisse der „lärmigen Geschlechterdebatte“ um 1900 nennt, lässt ihren weiteren Ausführungen nicht eben freudig entgegensehen. Doch hat sie im Folgenden durchaus Erhellendes über die Vorgeschichte des Kampfes ums Frauenstimmrecht und nicht zuletzt über die vom „Bund schweizerischer Frauenvereine“ 1916 herausgegebene Schrift „Funken vom Augustfeuer“ Hedwig Bleuler-Wasers mitzuteilen.

Weitere, oft sehr informative Beiträge zeichnen die Entstehung des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht nach (Corinne Dallera und Sibylle Hardmeier), legen die „Strategien zur Einführung des Frauenstimmrechts“ dar (Nadine Boucherin, Beatrix Mesmer und Sylvie Jean), folgen den „Etappen des Stimmrechtkampfes“ (Renate Wegmüller, Margrith Bigler-Eggenberger, Yvonne Voegeli und schließlich Sibylle Hardmeier in gleich zwei Beiträgen), gehen auf die „Allianzen für die Rechtsgleichheit“ ein (Béatrice Ziegler, Silke Redolfi, Regina Wecker, Céline Schoeni, Nora Natchkova und Regula Zürcher) und legen die letzten ereignisreichen 30 Jahre in der Geschichte des Jubilars dar, der ja eigentlich viel eher den Ehrentitel einer Jubilarin verdient (Carole Villiger, Elisabeth Joris, Nicole Gysin und Simone Chapuis-Bischof).

Besonders wertvoll aber machen den Band die gut zwanzig Biografien ausgewählter StreiterInnen für das Frauenstimmrecht in der Schweiz, von denen die meisten wohl nicht nur bundesdeutschen FeministInnen bislang unbekannt gewesen sein dürften. Das große Binnen-I der StreiterInnen wird im Übrigen durch den einzigen aufgenommenen Mann, Peter von Roten-Meyer, gerechtfertigt.

Beschlossen wird der Band durch einen Beitrag von Jessica Kehl-Lauff, die seit 1997 als Präsidentin des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht firmiert. Sie beginnt ihr „Schlusswort“ nicht weniger irritierend als Caroline Arni ihren Eröffnungstext. Denn schon nach wenigen Zeilen wendet sie sich gegen den „[f]eministischen Fundamentalismus, der die Freiheit der einzelnen Frau einzuschränken versucht“. Da hätte man doch zu gerne einmal gewusst, wem sie diesen vernichtenden Vorwurf macht. Doch statt darüber aufzuklären, hält sie es lieber mit einem anderen, ihrem eigenen Fundamentalismus und greift tief in die biologistische Mottenkiste. Zwar könnten einzelne Männer schon mal eine „frauenspezifische Sichtweise“ (und zu ihrem Bedauern auch umgekehrt Frauen eine „männerspezifische Sichtweise“) einnehmen. Doch sei „von der Forschung bestätigt“ worden, dass es diese grundlegenden Unterschiede sehr wohl gebe, wie sie völlig unbeleckt von jeglichen Erkenntnissen der Gender Studies unter Hinweis darauf, dass „die Vernetzung beider Hirnhälften […] bei Frauen stärker ausgeprägt“ sei, meint. Die forschungsrelevante Quelle, auf die sie sich hierbei beruft, ist ein Artikel aus der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ sowie eine „zurzeit erst auf Englisch vorliegende Untersuchung: ‚Sex Differences –Summarizing More than a Century of Scientivic Research‘, published by Psychology Press on the 8th August 2008“.

Ungeachtet solcher Missgriffe bietet der Band reichhaltige Informationen zur Geschichte des Kampfes um das Frauenstimmrecht in der Schweiz und über die Biographien seiner wichtigsten VerfechterInnen.

Titelbild

Der Kampf um gleiche Rechte - Le combat pour les droits égaux.
Herausgegeben vom Schweizerischen Verband für Frauenrechte.
Schwabe Verlag, Basel 2009.
422 Seiten, 29,40 EUR.
ISBN-13: 9783796525155

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch