Zwei Märchensammler – eine Biografie

Steffen Martus’ Buch über die „Brüder Grimm“ zeichnet das Porträt einer faszinierenden Epoche

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 1991 konnte sie jeder auf dem 1.000 DM-Schein bewundern: Die Brüder Grimm hatten den Sprung in die Brieftaschen geschafft, der Sprung in deutsche Bibliotheken war ihnen allerdings schon wesentlich früher gelungen. Bereits zu Lebzeiten galten die beiden in Hanau geborenen Brüder als große, wenn auch zurückgezogene Gelehrte. Ihre aufwändig zusammengestellte Sammlung der Kinder- und Hausmärchen ist eines der weltweit bekanntesten deutschen Bücher und die Richtschnur, wenn es um Märchen geht. Und tatsächlich wirken beide Brüder manchmal so, als seien sie ihren eigenen Märchen entsprungen: Wilhelm Grimm nahm zuweilen gerne die Rolle des Heimkehrers ein, der, die Zeit vergessend, nach jahrzehntelanger Abwesenheit die Rückkehr nach Hause antrat. Jacob Grimm stand ihm in nichts nach, als er schrieb, dass nur derjenige den Schatz der Überlieferungen bergen könne, der „unschuldige Einfalt“, „strenge Treue“ und „milde Freundlichkeit“ in seiner Person vereinige: die Metamorphose des Märchenforschers zum Märchenhelden.

Dabei sind beide Brüder doch ein höchst ungleiches Paar: Jacob Grimm, der engagierte Diplomat, Teilnehmer am Wiener Kongress und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, mag so gar nicht zum stillen und zurückgezogenen Familienvater Wilhelm passen, dem Ruhe und Ordnung nicht hoch genug gelobt werden konnten. Und dennoch sind sie zu einem Zeichen von Brüderlichkeit im Geiste wie im Wohnzimmer geworden; sie verstanden ihr Zusammenleben auch als einen Heim-Vorteil, die gemeinsame Bibliothek nicht aufteilen zu müssen. Diese Anekdote ist nur eine von zahlreichen, die das Steffen Martus‘ Buch „Die Brüder Grimm. Eine Biographie“ lesenswert machen und so einen Blick hinter die Fassade der Märchensammler erlauben. Steffen Martus versteht es, das Leben beider Persönlichkeiten mit ihrer eigenen Geschichte und der Weltgeschichte zu verbinden und so ein dichtes Netz zu weben, das vom Psychogramm der Brüder bis zum kulturellen Fundament ihrer Werke reicht. Entstanden ist eine lebendige Zeitreise, die ein faszinierendes Porträt einer dynamischen Epoche zeichnet. Die Wurzeln von Literatur, Recht und Religion sind durch die Grimms nicht gewachsen, aber freigelegt worden. Den Zugang zu ihnen zu finden ist nicht immer einfach, aber Steffen Martus weist einen Weg.

Titelbild

Steffen Martus: Die Brüder Grimm. Eine Biographie.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009.
608 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783871345685

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