Zu dieser Ausgabe

Nicht alle mochten Thomas Mann. Kurt Tucholsky etwa stellte ihm 1925 in der „Weltbühne“ folgendes positive „Dienstzeugnis“ aus: „Herr Thomas Mann war bei mir achtunddreißig Jahre lang als Erster Buchhaltungskonzipist in Stellung. Ehrlich und fleißig, von stets gemessenem Auftreten und von sauberstem Äußeren, hat er die ihm aufgetragenen Arbeiten immer mit der größten Akkuratesse und der peinlichsten Korrektheit, wenn auch hier und da mit einem sonderbaren Anflug von Traurigkeit ausgeführt. Seinen einzigen Urlaub nahm er bei seiner Konfirmation; seitdem ist er ununterbrochen derselbe geblieben: arbeitsam, treu und pünktlich. Er verläßt unser Haus auf eignen Wunsch, um sich fortan ganz der Fischerei zu widmen, an die ihn viele Bände fesseln. Ich kann Herrn Thomas Mann, der sozusagen ein durchaus zuverlässiger Künstler ist, nur allerseits bestens empfehlen.“
Das klingt nicht gerade danach, als könnten die literarischen Erzeugnisse dieses beflissenen Schriftstellers, der offenbar jeden Zettel extra erst noch durchstrich, bevor er ihn wegwarf, große emotionale Wallungen beim Leser auslösen.

Dass das so nicht ganz stimmt, zeigt die aktuelle Ausgabe von literaturkritik.de. Nachdem unsere Zeitschrift unter anderem bereits 2005 mit einem Themenschwerpunkt an den 50. Todestag Manns erinnerte und 2009 die kompletten Tagungsbeiträge zu einem Symposium über Thomas Mann und die Ökonomie veröffentlichte, widmen wir uns nun dem Thema „Thomas Mann und die Emotionen“. Den jungen LiteraturwissenschaftlerInnen, die bei Ihrer Frühjahrstagung in Göttingen am 5. und 6. März das Klischee vom „kalten Künstler“ Thomas Mann hinterfragt und uns Ihre Vorträge zur zeitnahen Veröffentlichung überlassen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Darüber hinaus finden Sie in der vorliegenden Ausgabe auch Rezensionen von Publikationen, die unter anderem im Brennpunkt der Leipziger Buchmesse standen und in der März-Ausgabe noch nicht besprochen werden konnten.


Mit besten Frühlingsgrüßen aus Marburg,
Jan Süselbeck