„Ein Wort- und Ton-Dichter gleichzeitig“

Marlis Prinzing versucht dem Schamanen Galsan Tschinag auf die Spur zu kommen

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein Schamane greift aus der Luft, aus dem Nichts Verse und kleidet sie ein. Er ist ein Wort-Dichter und Ton-Dichter gleichzeitig und er beschwört damit Leute, er bringt sie in einen Rausch – und vor allen Dingen zuerst mal sich selber“, antwortet Galsan Tschinag auf die Frage der Journalistin Marlis Prinzing nach der Bedeutung der Sprache für Schamanen.

Prinzing, die in Köln Journalismus unterrichtet, versucht über die Beschreibung von Heil-Seminaren und in Interviews dem Schamanen Tschinag auf die Spur zu kommen – ein Unterfangen, das nicht ganz einfach ist, ist Tschinag schließlich nicht nur Heiler, sondern vor allem auch Schriftsteller und überdies Häuptling des turksprachigen Nomadenvolks der Tuwa, einer rund 4.000 Personen umfassenden Minderheit in der Mongolei.

Erst unlängst ist ein umfangreicher Trialog zwischen Tschinag, dem Technikphilosophen Klaus Kornwachs und der Schamanin und Schmuckdesignerin Maria Kaluza erschienen, der eine ähnliche Zielsetzung verfolgt – nämlich die Verbindung alten Heil-Wissens mit den Wissenschaften der Gegenwart. Dieser Trialog ist die Essenz aus mehr als 25 Stunden Gespräch über Gott und die Welt, über Spiritualität, über „Heilen – Heil – Heilung“ und vieles mehr. (siehe Literaturkritik 01/2010)

Prinzings Interesse gilt nicht dem Autor von gut zwei Dutzend deutschsprachigen Romanen, Erzählungen und Gedichtbänden, gilt nicht dem Stammesfürsten, dem „Moses von Ulanbator“, wie Tschinag sich selbst einmal nannte, sondern dem schamanischen Heilen, der Tradierung dieser mündlich überlieferten Heilkunde, den Techniken und Wirkungen, der Haltung und der Motivation des Schamanen Tschinag. Letztlich geht es aber Prinzing wie den Trialogpartnern Kornwachs, Kaluza und Tschinag um einen Brückenschlag dieser buchlosen Religion und uralten Heilkunde in „die westliche Welt.“

Ist es bei Kornwachs, Kaluza und Tschinag das intensive Gespräch, das gemeinsame Reflektieren über alle möglichen Themenkreise, so ist es bei Prinzing die analysierende Beobachtung von Schamanenseminaren und schamanischen Handelns Tschinags, jeweils gefolgt von Interviewgesprächen, die das Porträt des Mannes aus dem Hohen Altai formen.

Immer wieder um-schreibend und umschreibend zeichnet Prinzing das Kaleidoskop des Schamanen Tschinag, der zugleich bemüht ist, Allgemeingültiges zu betonen: „Ein Schamane ist einer, der maßlos übertreibt und maßlos untertreibt. Er ist ein Schizophrener, der mal hierhin und mal dorthin geht. In einer Gefühlswallung.“

Erfahrungen und Reflexionen von Medizinern wie Dietrich Grönemeyer oder Therapeuten wie Sylvia Röthlisberger zum Thema Heilkunst diskutiert Prinzing ebenso wie sie auch die mittlerweile distanzierte Haltung der Ethnologin Amèlie Schenks zu Tschinag nicht nur nicht verschweigt, sondern sie auch auf sechs Seiten deutet – nämlich als die verletzte Abkehr einer „liebenden Frau“. Aus Prinzings Sicht erscheint Schenks „Widerrede“ so letztlich nur eine vermeintliche zu sein, zumal auch der Hinweis auf die beiden verfeindeten Schamanenschülerinnen aus Tschinags letztem Roman „Die Rückehr“ diese Interpretation unterstreicht.

Prinzings Porträt beschreibt die für Tschinag untrennbare Verbindung schamanischen Heilens mit der Dichtkunst. Sie konstatiert: „Sein Vehikel und sein Werkzeug sind ihm Buchstaben und innere Bilder, die eine heilere und eine heilende Welt erschaffen.“ Vor diesem Hintergrund kann Prinzings „Der Schamane“ auch wichtige Hinweise zur poetischen Welt Tschinags liefern.

Titelbild

Marlies Prinzing: Der Schamane. Begegnung mit Galsan Tschinag.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2010.
264 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783548744933

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