Eine islamische Kriegsgeschichte, die nicht voll überzeugt

Efraim Karsh untersucht den „Imperialismus im Namen Allahs“ von Muhammad bis Bin Laden“

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Analog zum angeblichen „Clash of Cultures“ zwischen Muslimen und dem säkularen Westen gibt es spätestens seit den spektakulären Anschlägen von 2001 auch in den politischen Wissenschaften eine scharfe Auseinandersetzung über das Wesen des Islam. Ist er tatsächlich eine im Grunde friedliche Religion und sind alle in seinem Namen vollzogenen Gewaltakte daher nur fatale, aber keineswegs systembedingte Abirrungen?

Oder haben die Anhänger des Propheten dessen letztes imperialistisches Vermächtnis tatsächlich immer zu befolgen versucht, alle Männer solange zu bekämpfen, bis sie sagen: „Es gibt keine Gottheit außer Gott“?

Nach Ansicht des israelischen Historikers Efraim Karsh spricht vieles für die zweite Möglichkeit. Anders als den westlichen Nationen sei es daher dem islamischen Kulturbereich seit dem Ende des Osmanischen Reiches, dem letzten muslimischen Imperium, nicht gelungen, einen echten Nationalismus als Grundlage eines säkularen Staates hervorzubringen.

Der Nationalismus der Araber entspringe vielmehr dem muslimischen Gefühl der Bruderschaft, erklärte in den 1930er-Jahren der langjährige Premierminister des Irak, Nuri Said. Er kenne daher keine Grenzen und sei geprägt durch das Bestreben, „die große tolerante Zivilisation des frühen Kalifats wiederherzustellen“. Karsh hat keine Mühe, für diesen Traum von einer angeblich harmonischen Frühzeit des Islam eine Fülle von ähnlich lautenden Absichtserklärungen bis in die Gegenwart aus dem muslimischen Raum heranzuziehen.

Folgt man dem renommierten Leiter des Mediterranean Studies Programme am King’s College der Universität von London, so ist die fraglos wachsende Feindschaft im islamischen Raum gegenüber dem Westen und vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten als seinem derzeit bedeutendsten Protagonisten nicht die Folge einer Kette von Interventionen der Europäer und Amerikaner im Nahen und Mittleren Osten, sondern hauptsächlich durch das Wiedererwachen eines genuinen islamischen Imperialismus bedingt. Tatsächlich habe der Islam, so die Kernthese von Karsh, sein imperialistisches Streben bis heute bewahrt. Dabei ging es ihm weder heute noch in der Vergangenheit nie um Befreiung von Fremdherrschaft, sondern allein um die Unterwerfung anderer Nationen und Bevölkerung unter sein globales Diktat.

Als Beweis entwickelt er eine Geschichte des Islam von seinen legendären Anfängen bis in die Gegenwart, die trotz einiger Unschärfen im Detail zunächst plausibel zeigt, dass das frühe Kalifat keineswegs die erträumte harmonische und tolerante Zivilisation war, sondern eher eine Art nahöstliches Sparta mit einer streng abgegrenzten privilegierten Kriegerkaste. Noch bis zur Zeit der Abbasiden waren mehr als Dreiviertel der Menschen im islamischen Machtbereich Christen oder Zoroaster und damit Bürger zweiter Klasse mit hoher Steuerlast oder sogar rechtlose Sklaven, die man in großer Zahl aus Afrika verschleppt hatte. Darüber hinaus erschütterten fast ständige Bürgerkriege zwischen Peripherie und Machtzentrum die angebliche Harmonie des urislamischen Staates, der zwar zu einer beeindruckenden Prachtentfaltung fähig war, dies aber nur auf Kosten einer ständigen Expansion und einer sträflichen Vernachlässigung der ökonomischen Infrastruktur. Interessant wäre hier die Frage gewesen, ob eine auf sich allein angewiesene vollkommen islamisierte Gesellschaft überhaupt überlebensfähig wäre und ob nicht der muslimische Traum einer islamischen Weltherrschaft der Albtraum schlechthin wäre. Die von dem mittelalterlichen Gelehrten Ibn Chaldun prophezeite „Friedhofsruhe“ auf einem endgültig dem Islam unterworfenen Erdkreis wäre allein schon deshalb unwahrscheinlich, da, wie Karsh betont, in seiner rund 1400-jährigen Geschichte mehr Muslime im Kampf gegeneinander getötet worden sein dürften als Ungläubige.

Der rasch einsetzende Verfall des abbasidischen Herrlichkeit, unter dem überhaupt erst die breite Islamisierung des Orients zum Abschluss gelangte, lässt vielleicht noch mehr als die ökonomische und soziale Misere der gegenwärtigen islamischen Staaten die Erfolgsaussichten einer überwiegend muslimischen Gesellschaft ohne ausbeutbare Dhimmis fraglich erscheinen.

Insgesamt kann Karshs breit angelegte Argumentation jedoch nicht überzeugen, da vor allem seine Darstellung der letzten zwei Jahrhunderte die historischen Tatsachen beinahe auf den Kopf stellt. Nicht Russen, Engländer oder Franzosen waren demnach die tatsächlichen Imperialisten, sondern das zerfallende Osmanische Reich oder der isolierte Clan der Haschemitten, dessen Oberhaupt Scheich Hussein während des Ersten Weltkrieges von einem arabischen Großreich träumte. Beinahe zynisch klingt da Karshs Behauptung, ein überkommender islamisch-arabischer Imperialismus und nicht etwa die willkürliche Grenzziehung der europäischen Mächte habe eine lebensfähige nationale Entwicklung der verschiedenen Ethnien im Nahen Osten verhindert. Erstaunlich ist auch seine Behauptung, dass die mittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten in den Augen der nahöstlichen Muslime durchaus nicht Erzfeinde und völkermordende Eindringlinge gewesen seien und dass sogar ihre entscheidende Niederlage bei Hattim gegen ein muslimisches Heer des Kurden Saladin eher als ein misslicher Zufall betrachtet werden müsse. Gewöhnlich sei man sonst gut miteinander ausgekommen und selbst muslimische Bauern auf den Golanhöhen hätten die fränkische Grundherrschaft der Oberhoheit ihrer Glaubensbrüder in Damaskus vorgezogen. Erst der moderne arabische Imperialismus habe die christlichen Kreuzfahrerstaaten zu Erzfeinden des Islam stilisiert und dabei Parallelen zum Staat Israel gezogen.

Ausführlich hebt Karsh weiterhin die zahlreichen Fälle einer die Grenzen der Religion immer wieder überschreitenden Bündnispolitik zwischen Christen und Muslimen seit der Karolingerzeit hervor. Wie aber das überlieferte Zusammenwirken von Abbasiden und Karolinger gegen Byzanz oder von sizilianischen Sarazenen und neapolitanischen Langobarden gegen den Papst seine generelle These von einem permanenten islamischen Imperialismus stützen, bleibt unklar.

Entscheidend dürfte indes sein, ob die Königsnarration einer islamischen Frühzeit mit ihren fraglos imperialistischen Zügen tatsächlich als historische Wahrheit einzustufen ist, oder irgendwann, wie es der niederländische Islamwissenschaftler Hans Jansen vermutet, als ein nachträglich konstruierter Mythos entlarvt werden wird, vergleichbar etwa der alttestamentarisch überlieferten Geschichte des jüdischen Volkes vor seinem babylonischen Exil, die im übrigen ebenso mit einer gewaltstimulierenden Rhetorik befrachtet ist wie Teile des Koran.

Dass heutzutage die Ideologen von Al Quaida lautstark wieder die imperialistischen Formeln der islamischen Frühzeit aufgreifen, ist kein wirklicher Beleg für deren durchgängige Wirksamkeit in der gesamten Geschichte des Islam. Mindestens in einer Hinsicht aber scheinen die Anhänger des berüchtigten Terrornetzwerkes das Schicksal ihrer mythischen Vorbilder zu teilen. Sie sind genauso entwurzelt und marginalisiert wie die ersten Anhänger des Propheten, die nach der Überlieferung mittellos aus ihrer Heimatstadt Mekka fliehen mussten.

Titelbild

Efraim Karsh: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden.
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007.
400 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783421042378

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