Zwischen Flickenteppich und Hagiographie

Eine Hommage an Nietzsche zwischen Flickenteppich und Hagiographie

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den zahlreichen Büchern, die anlässlich Nietzsches 100. Todestag auf den Markt geworfen werden, zählt auch die Taschenbuchausgabe des bereits 1994 erstmals erschienen Sammelbandes "Philosophie als Kunst", den Heinz Friedrich herausgegeben hat. Ein Kriterium der Textauswahl ist nicht zu erkennen. Neben und zwischen neueren Essays zu Nietzsches Übermensch (Heinz Friedrich), dem Stil Nietzsches (Hans-Martin Gauger) und der Wirkung Nietzsches auf die Bildende Kunst (Wieland Schmied) enthält das Buch eine umfangreiche Auswahl aus dem Briefwechsel Nietzsches mit dem Komponisten Heinrich Köselitz, alias Peter Gast, und aus Nietzsches Lyrik. Abgedruckt sind zudem das Gedicht "Nietzsche" von Stefan George und Gottfried Benns "Turin". Ein wahrer Flickenteppich also.

Nun liegt es zwar im Wesen einer Hommage, lobende Worte für den Geehrten zu finden, doch klingen in manchen Beiträgen hagiographische Töne allzu unangenehm hervor. Die wiederholt geäußerte Auffassung, Nietzsche sei ein Genie gewesen, kann man, auch wenn man sie nicht teilt, ebenso hinnehmen wie Heinz Friedrichs Behauptung, dass Nietzsche "über die Jahrhundert- und Jahrtausendwende hinweg" Zeitgenosse bleibe. Die Bedenken werden jedoch größer, wenn Friedrich ihn als den "radikalsten und gnadenlosesten Kritiker des bürgerlichen Zeitalters" bezeichnet. Der gnadenloseste - vielleicht; aber der radikalste? Kämen da nicht auch seine Zeitgenossen Karl Marx und Michail Bakunin in betracht? Oder Arthur Schopenhauer, den Ludger Lütkehaus jüngst als den radikaleren Denker erkannte. (siehe "Sein oder Nichts - alles Jacke wie Hose" in literaturkritik.de Jg. 1 Heft 11, 1999 [bitte link legen zu 1999-11-03-html]). Lou Andreas-Salomé, die sowohl Nietzsche als auch seinen Freund Paul Rée kannte, sah in letzterem den "schärferen Kopf". Friedrichs Behauptung, dass "kein großer Geist dieses 20. Jahrhunderts [...] an Nietzsche vorbei" komme, kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man Leute wie Edmund Husserl, Karl Popper oder John Rawls, die herzlich wenig Interesse an dem 'Philosophen mit dem Hammer' bekundeten, zu den kleinen oder zumindest mediokren Geistern rechnet; von zahlreichen Nichtphilosophen wie Albert Einstein oder Werner Heisenberg ganz abgesehen.

Anders als im Vorwort halten sich in Wieland Schmieds Untersuchung der Wirkungsmächtigkeit Nietzsches auf die Bildende Kunst des 20. Jahrhunderts Anerkennung und Kritik die Waage. Zwar nennt er Nietzsche einerseits überschwänglich einen "unvergleichlichen Wortkünstler", sieht aber andererseits, dass Nietzsche "kein Augenmensch" und auch kein "geschmackssicherer Kunstkritiker" gewesen ist. Dem wird wohl niemand die Zustimmung verweigern wollen. Dass Nietzsche trotz seines "emphatisch verkündeten Ja-und-Amen-Sagens" von "beispielhafter, fast selbstmörderischer Integrität" gewesen sei, muss jedoch vehement bezweifelt werden. Zu Recht betont Schmied hingegen, dass Nietzsche sich "viel eher an unsere Emotionen wandte als an unsere Vernunft". Schmieds Erörterung der Wirkung Nietzsches auf die Bildende Kunst, auf Max Klinger, Edvard Munch, Otto Dix oder vor allem Giorgio de Chirico, zeichnet sich durch Kenntnisreichtum und Sachverstand aus. Der Beitrag spricht zwar allzu viele Bilder nur mit jeweils einer kurzen Bemerkung an, doch ist er es, der die Schwächen dieses Sammelbandes weitgehend auszugleichen vermag.

Titelbild

Heinz Friedrich (Hg.) / Friedrich Nietzsche: Philosophie als Kunst. Eine Hommage. (Philosophie für Anfänger).
dtv Verlag, München 1999.
254 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3423307358

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