Musik, die brennt

Zu Schorlaus Biografie über den Jazzmusiker Wolfgang Dauner

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir kennen Wolfgang Schorlau als Verfasser hervorragend recherchierter, spannender und gut erzählter Kriminalgeschichten, die vor allem auf Grund ihres direkten Bezugs zur Gegenwart ihre Brisanz und Schlagkraft entwickeln. Weit unterschätzt hätte man den Autor, würde man ihn auf das Genre Krimi beschränken. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten führt Schorlau sowohl für den geneigten als auch für den kritischen Leser jetzt in einer Biografie über den Stuttgart Jazzmusiker Wolfgang Dauner vor.

Wolfgang Dauner, Jahrgang 1935, hat Ende 2010 seinen 75. Geburtstag gefeiert. Im Dezember 2010 hat er eine neue Tour mit seinem neuen Album „Tribute To The Past“ begonnen. Dauner gehört neben Musikern wie Volker Kriegel, Joachim Kühn und Eberhard Weber zu den bekanntesten, erfolgreichsten und vor allem wichtigsten Musikern des internationalen Jazz. Dass er dabei maßgeblich an der Ausprägung einer deutschen Variante des Jazz nach 1945 beteiligt war, dies schildert eindrucksvoll Schorlaus Buch.

Wolfgang Dauner ist einer „der“ Protagonisten eines deutschen Jazz, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg fast als Markenzeichen bekannt geworden ist. Dass zu seiner solchen musikalischen Ausdrucksstärke auch ein entsprechendes Leben gehört, schildert Schorlau eindrucksvoll: „Dauners Leben ist bereits Jazz, als er diese Musik noch gar nicht kennt.“ Die Kindheit und Dauners erster Kontakt mit der Musik bei seiner Pflegemutter, die Annäherung an klassische Musik und die Verbindung von Entbehrung und Begeisterung bei den Beteiligten, das alles wird detailliert und genau beschrieben. Er macht eine Lehre im Maschinenbau. Ein ordentlicher Beruf muss her. Gleichzeitig spielt er in den Nächten in den Stuttgarter Clubs. Die Voraussetzungen sind nicht rosig: „Nach 1945 liegt Deutschland deshalb auch in musikalischer Hinsicht in Trümmern. Jazzmusiker wie der junge Wolfgang Dauner finden daher buchstäblich nichts vor, auf dem sie aufbauen können. Es gibt keine Bücher, keine Schallplatten, keine Sendungen in Radio und Fernsehen, von einer Jazzausbildung auf Musikhochschulen kann man nicht einmal träumen.“

Dauner spielt Jazz in verschiedenen Formationen, macht Unterhaltungsmusik, nimmt jede Möglichkeit für einen Auftritt wahr. Plötzlich gehört er in Stuttgart zum musikalischen Untergrund und ist gleichzeitig Avantgarde. Schorlau beschreibt die Situation dieser Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg sehr einfühlsam, vor allem aber treffend: „Die Leute, die eine anspruchsvollere Vorstellung vom Leben haben, entwickeln eine eigene Haltung, suchen sich dafür neue Orte, Ausdrucksformen, Künste und eben auch eine neue Musik. Es sind nicht wenige. Der Jazz wird ihr Soundtrack.“

Denn nur aus einer solchen Situation heraus konnte eine so bedeutende und wirkungsmächtige Musik entstehen, die ihre Eigenheiten bis in die Gegenwart nicht nur behauptet, sondern immer noch erweitert. Vor allem auch in den 1960er-Jahren ging Dauners Interesse an neuen Entwicklungen mit den Zeittendenzen einher: „Die Aufbruchstimmung der sechziger Jahre hat auch ihn erfasst, und er liefert seinen Beitrag zum Soundtrack dieser Zeit.“ Diese anhaltende Aufbruchstimmung ist die Besonderheit, die Schorlau über Dauner und sein Konzept vom Leben und Musik vermittelt. Und selbst in seinem 75. Jahr bleibt immer der Aufbruch – nicht zuletzt auch in Dauners neuem Album – trotz des Titels „Tribute To The Past“.

Man findet im Anhang des Buches eine beeindruckende, um die 100 Nummern umfassende Diskografie. Schorlau schreibt Dauner mit seinem Buch in die Musikgeschichte hinein: „Dauners Beitrag zur Musikgeschichte besteht zusätzlich im Überwinden der Grenzen zwischen den Stilrichtungen, zwischen Jazz, Rock und freier Musik, aber auch zwischen Musik und Performance, Theater, Pantomime und Literatur. Vielleicht ist immer sein eigentliches Anliegen gewesen: die Mauern zwischen Kunst und Leben endlich einzureißen.“ Und genau diese Neugier auf die verschiedenen Genres, auf die Verbindung zwischen den Künsten macht Dauner zu einem Jazzmusiker, der das Grenzüberschreitende dieser Musik erkannt hat und auch in der Lage ist, dieses seinem Publikum mitzuteilen. Eigentlich sollte man Schorlau auffordern, noch eine Monografie über die Musik von Dauner zu schreiben, oder endlich eine Geschichte des deutschen Jazz, die lesbar und spannend zugleich ist. Ein grandioses und unterhaltsames „Sachbuch“, in dem der Respekt und die Liebe zum erzählten Gegenstand auf nahezu jeder Seite erkennbar ist.

Titelbild

Wolfgang Schorlau: Das brennende Klavier. Der Musiker Wolfgang Dauner.
Edition Nautilus, Hamburg 2010.
189 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894017309

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