Keine Oden an die Arbeit

Susanne Heimburger diskutiert die neue Rolle der Arbeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Affinität der Gegenwartsliteratur zu ökonomischen Themen und der sich verändernden Arbeitswelt ist augenfällig. Nicht weniger auffällig ist die Vorliebe der Literaturwissenschaft für allerlei Phänomene des Ökonomischen. Es erscheint daher als zwingend, dass sich die Literaturwissenschaft mit der Rolle der Arbeit in der Gegenwartsliteratur auseinandersetzt. Ein Beispiel für diese Beschäftigung, noch dazu eines, das nachhaltig auf die Forschungsdiskussion einwirken könnte, ist Susanne Heimburgers Studie „Kapitalistischer Geist und literarische Kritik“.

Heimburger stellt zunächst die verbreitete, durchaus plausible Forschungsmeinung von der „Arbeitsscheu der deutschen Literatur“ vor. In der Tat ist in den großen Werken der deutschsprachigen Literatur, „selbst im ökonomisch und sozial so brisanten Zeitalter der Industrialisierung“, das anthropologisch so bedeutende Thema der Arbeit nicht von bemerkenswertem Interesse, ganz anders als in der englischen oder französischen Literatur. Während also in kanonischen Texten die Umstände menschlicher Arbeit traditionell weit gehend ausgespart bleiben, ordnet die so genannte „Arbeiterliteratur“, die diesem Mangel entschieden entgegentritt, die ästhetische Qualität programmatisch der Darstellung sozialer Wahrheit unter und ist aus diesem Grund zumeist nicht kanonisch.

Anders stelle sich dieses Verhältnis in der Gegenwartsliteratur dar. Zum einen habe sich in Folge des Wandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft der Arbeitsbegriff grundlegend geändert. Heimburger skizziert einen „Paradigmenwechsel“, der durch eine radikale Neuordnung von Arbeitsprinzipien und Berufsbildern erreicht worden sei. Nicht mehr die ideologischen Prinzipien des Fordismus und Taylorismus, sondern die neue Leitideologie des „New Management“ sei nunmehr tonangebend. Damit geht ein neues Menschenbild einher, da unter anderem die Unterscheidung von Arbeits- und Freizeit obsolet werde und sich der Angestellte nun „durch kreatives und selbstbestimmtes Arbeiten selbst verwirklichen“ können soll, wodurch die klassische, prominent von Adam Smith vertretene Idee der Arbeitsteilung hinfällig wird, geht es jetzt doch um die „Mobilisierung aller und nicht eines Teils der Eigenschaften von Arbeitskräften“. Eine „Entfremdung“ finde daher nicht mehr statt, da der Mensch sich nicht mehr einem arbeitsteilig organisierten Produktionsprozess ein- und unterzuordnen habe. Arbeit werde denen, die sie ausführen, zur Sinnstiftung und zur Möglichkeit der Selbstfindung und -erfüllung. Was so verheißungsvoll klingt, wird indes im Anschluss an Gilles Deleuze und Michel Foucault als Verschiebung von Machtstrukturen entlarvt. Die neoliberalen Freiheiten in der Arbeitswelt zwängen den Einzelnen zur Selbstverwaltung der eigenen Humanressourcen. Der Arbeitnehmer müsse marktwirtschaftliche Konzepte internalisieren, um sich selbst angemessen auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Die mit Freiheiten einhergehende Flexibilität und Unsicherheit werden als Faktoren der Produktivitätssteigerung ausgemacht.

Auf diese Veränderungen in der Auffassung von Arbeit und deren Übergreifen auf alle anderen Lebensbereiche reagiere auch die Literatur. Gleiches gelte für das heikle Verhältnis von Kunst und Ökonomie. Während in der Vergangenheit hier meist von einem Oppositionsverhältnis ausgegangen wurde, müsse diese vermeintliche Trennung zweier Sphären überdacht werden, wenn „Unternehmer, Angestellte und Manager Künstler sein wollen, und auch Künstler sich inzwischen als selbständige Unternehmer betrachten“. Der Künstler werde gar zum „Leitmodell des modernen Arbeitenden“.

Das Textkorpus, das Susanne Heimburger untersucht, ist außerordentlich breit, hat seinen Schwerpunkt jedoch auf literarischen Texten, die zwischen 1995 und 2006 erschienen. Zur „Literatur der Arbeitswelt“ zählt Heimburger solche literarischen Texte, „deren handlungstragender Konflikt aus den Arbeitsverhältnissen und dem aktuellen Arbeitsbegriff hervorgeht“. Alle herangezogenen Autoren zu nennen, würde den Rahmen einer Rezension sprengen – unter anderem werden narrative und dramatische Texte von Burkhard Spinnen, Ingo Schulze, Georg M. Oswald, Rolf Hochhuth, John von Düffel und Katrin Röggla analysiert, die bei weitem größte Aufmerksamkeit erhalten Ernst Wilhelm Händlers „Wenn wir sterben“ und Rainer Merkels „Das Jahr der Wunder“.

Die umfassende Kenntnis der Thematik bringt Heimburger durch die Textauswahl überzeugend zum Ausdruck, wie auch ihre Beobachtungen durch die Vielzahl von Belegen plausibilisiert werden. Bei einer derartigen Fülle von Referenzen bleibt indes immer die Gefahr, die einzelnen Texte zu rasch und mithin verknappend zu behandeln. Diese Tour de Force durch zahlreiche Werke der Gegenwartsliteratur hinterlässt bisweilen eine gelinde Verwirrung, da der Leser nicht mehr weiß, welcher Text gerade in Rede steht, zumal die Untersuchungsergebnisse häufig ähnlich sind.

Die untersuchten Texte setzen sich mit den Transformationen der Arbeitswelt und der neuen Rolle des arbeitenden Subjekts meist kritisch auseinander, indem sie unter anderem die phrasenhafte Sprache des „New Management“ schonungslos zur Schau stellen, Brüche in der scheinbar idyllischen Arbeitswelt sowie die Kontroll- und Machtmechanismen aufzeigen oder die geforderte Flexibilisierung des Einzelnen durch ebenso flexible, multiperspektivische, herkömmliche Vorstellungen von Zeit und Raum in Frage stellende literarische Techniken reflektieren. Die neue Auffassung von Arbeit werde mithin in den untersuchten Texten „tendenziell kritisch beleuchtet“, ohne dass dabei von verkrusteten ideologischen Positionen bestimmte moralische Auseinandersetzungen geführt würden. Optimistische Fortschrittsgläubigkeit werde ebenso wenig geteilt wie nostalgisch-wertende Gegenüberstellungen von „alter“ und „neuer“ Arbeit für die Gegenwartsliteratur dominant seien. Ohnehin nehme die Literatur zumeist keinen festen externen Standpunkt ein, sondern konzentriere sich „weitaus häufiger darauf, die inneren Paradoxien des gegenwärtigen kapitalistischen Geistes hervorzuheben“.

Kritisch zu bemerken bleibt, dass der hin und wieder redundante Text manches Mal weniger eine Analyse und Argumentation bietet als eine Collage von Zitaten. Gewichtiger indes ist das Unbehagen darüber, dass zentrale Begriffe wie „Arbeit“ oder „Entfremdung“ nicht mit der erwünschten Klarheit erläutert werden, zumal sie eine lange Tradition aufweisen, die nicht zuletzt durch den Marxismus und die Kritische Theorie geprägt ist. Mit diesem theoretischen Erbe, das durch eine diffuse Verwendung dieser Begriffe immer mittransportiert wird, geht Heimburger nicht mit der nötigen Vorsicht um. Andere Begriffe wie etwa „Spiel“ werden enthistorisiert und äquivok gebraucht. Ungeklärt bleibt schließlich auch das offenbar traditionell mimetisch gedachte Verhältnis von tatsächlichen Arbeitsverhältnissen und deren Darstellung in der Literatur. Ob die Literatur nur, wie Heimburger etwas zu unreflektiert immer wieder schreibt, auf Veränderungen der Arbeitswelt „reagiert“ oder ob sie womöglich an solchen Entwicklungen aktiv beteiligt ist, bliebe zu diskutieren.

Diesen Einwänden zum Trotz gilt es festzuhalten, dass sowohl die einzelnen als auch die summierenden Analysen weitgehend überzeugend sind und ein anschauliches Bild von der Art und Weise vermitteln, wie sich die Gegenwartsliteratur mit aktuellen Arbeitswelten auseinandersetzt. Die beindruckende Kennerschaft der Textlandschaft und die Zuspitzung auf den Aspekt der Arbeit dürften Heimburgers Studie einen Platz in Forschungsdiskussionen der nächsten Jahre sichern.

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Susanne Heimburger: Kapitalistischer Geist und literarische Kritik. Arbeitswelten in deutschsprachigen Gegenwartstexten.
edition text & kritik, München 2010.
390 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783869160467

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