Unverständliche Leidenschaft?

Ein unkonventioneller Dokumentationsband zu einer innovativen Ausstellung: „Der Berg im Zimmer“

Von Julia NovakRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Novak

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selten sind die Voraussetzungen im Kulturbereich so günstig: Der Österreichische Alpenverein gab ein Ausstellungskonzept in Auftrag, „vertrauensvoll und weitgehend ohne Vorgaben“. Eine Schau zur Alpingeschichte sollte es werden, auf 700 Quadratmetern, angelegt auf fünf Jahre, angesiedelt in der Innsbrucker Hofburg.

Ein interdisziplinäres Team fand sich zusammen, mit zwei Kuratoren, Szenografen und Gestaltern, Museologen und einer Projektleiterin. Der im Buch beschriebene Arbeitsprozess lässt vermuten, dass es eine gute Besetzung war. Das Team entwickelte den Ehrgeiz, neuartige Formen für den Entwurf, die Dramaturgie und Gestaltung zu finden. Das Ergebnis überzeugt. Entstanden ist eine kleine feine Präsentation, die durch ihre ungewöhnliche Herangehensweise überrascht und es versteht, die Neugier der Besucher zu wecken.

Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer Fachtagung zum einjährigen Jubiläum der Schau. Es vereint literarische und wissenschaftliche Texte, Interviews und Kritiken, ergänzt durch Bilder der Ausstellung. Den Auftakt bilden drei Essays, die sich mit der „unverständlichen Leidenschaft“ des Bergsteigens auseinandersetzen. Für all jene Leser, die an der Ausstellungsgenese und nicht am Alpinismus interessiert sind, ist dies ein etwas spröder Einstieg. Doch bei Fortsetzung der Lektüre zeigt sich, dass diese Überlegungen das Fundament für die gesamte Inszenierung lieferten. Die Autoren nähern sich dem Thema von der physischen und psychischen Seite her – ein Ansatz, der entscheidende Impulse für die Umsetzung der Ausstellung lieferte. Die Motivation des Auf-den-Berg-Gehens, verbunden mit Mühsal und Selbstgefährdung auf der einen, Hochgefühl und Glück auf der anderen Seite, rückte in den Fokus: „Das Obsessive, Phantasmatische und Leidenschaftliche sollten […] selbst zum Gegenstand der Recherche werden.“ (Gottfried Fiedl)

In welcher Form die „Psychohistorie des Bergsteigens“ (Petra Nachbaur) inhaltlich und formal umgesetzt wurde, wird im Hauptteil des Buches deutlich, das sich umfassend dem Entstehungsprozess widmet. Besonders aufschlussreich sind hier die Beiträge des Kurators Beat Gugger sowie der Szenografen Ursula Gillmann und Matthias Schnegg. Sie lassen sich – im besten Sinne – in die Karten blicken, indem sie die kuratorischen und szenografischen Überlegungen des Teams offen legen: die Annäherung an den Gegenstand, das Fokussieren (und Verwerfen) von Inhalten und Objekten, das Ringen um die räumliche Übersetzung bis hin zur Lösungsfindung.

Die konzeptionelle Leitidee, die das Team gemeinsam entwickelte, besticht durch ihre Einfachheit. Die Ausstellung ist als Wanderung in die Berge angelegt. Sie beginnt im Flachland und führt bis zum Gipfel. Die narrative Ebene erzählt von den Handlungen, die mit der Aktion verbunden sind, angefangen vom Packen des Rucksacks bis zur Erschöpfung nach dem Aufstieg. Parallel führt ein „chronologischer Pfad“ durch die Alpinhistorie vom 19. Jahrhundert bis heute.

Bemerkenswert ist, dass die Publikation auch die Ergebnisse der Projektevaluierung mit einbezieht. In den abschließenden Beiträgen bewerten und kritisieren vier Expertinnen und Experten die Ausstellung ausgewogen und differenziert. „Manches“, so das Fazit, „könnte man noch intensiver durchdenken, radikaler thematisieren“. Doch insgesamt, so Renate Flagmeier, sei die Schau „ein Lichtblick in der Landschaft des kulturhistorischen Ausstellens“.

Ähnlich Positives lässt sich über den Dokumentationsband sagen. Das Buch ist aufschlussreich, da es sich (selbst-)kritisch und differenziert mit seinem Gegenstand auseinandersetzt. Das eigentlich Bemerkenswerte ist jedoch: es inspiriert. Es animiert dazu, quer zu denken, Neues auszuprobieren, auf das Potential interdisziplinärer Teams zu setzen. Dies macht das Buch – nicht nur für Ausstellungsmacher – lesenswert.

Titelbild

Gottfried Fliedl / Gabriele Rath / Oskar Wörz (Hg.): Der Berg im Zimmer. Zur Genese, Gestaltung und Kritik einer innovativen kulturhistorischen Ausstellung.
Transcript Verlag, Bielefeld 2010.
144 Seiten, 21,80 EUR.
ISBN-13: 9783837612486

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