Glaubt keinem Sänger

Klaus Theweleit hat ein Lesebuch zu Bob Dylans siebzigsten Geburtstag herausgegeben

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was Bob der Baumeister für 2- bis 5-jährige Jungs, das ist Bob Dylan für Männer in den schwierigen Jahren zwischen 40 und 70: absoluter Konsens. Darauf können sich (fast) alle einigen, egal, ob man nun die elektrische Phase der mittleren 1960er-Jahre bevorzugt, die archaischen „Basement Tapes“, oder den wiedererstandenen, dunklen Trickster der „Never Ending Tour“: Dylan ist längst kanonisiert und wird allenthalben gefeiert, auch und gerade in Deutschland. Das war zum 60. Geburtstag so, dann zum 65., und das ist auch in diesen Wochen nicht anders, wenn der 70. zu begehen ist.

Neben vielen anderen Neuveröffentlichungen ragt eine heraus: ein von Klaus Theweleit zusammengestelltes Lesebuch namens „How Does It Feel“, dessen erster Beitrag in der vorliegenden Ausgabe zu lesen ist. Es ließe sich kaum ein passenderer Herausgeber finden als dieser, der schon lange an der Schnittstelle sitzt zwischen Hoch- und Popkultur, zwischen Film, Literatur und Popmusik, kühler Wissenschaft und unbedingtem Fan-Sein. Bei Theweleit hat Pop schon immer eine zentrale Rolle gespielt, und er nähert sich Elvis und Peggy Lee mit der gleichen Hingabe wie Ezra Pound, Hesiod oder Gottfried Benn.

Der Buchtitel „How Does It Feel“ zitiert den Refrain von „Like A Rolling Stone“ an, auch nach fast einem halben Jahrhundert noch einer von Dylans größten Hits. Ausgewählt nach der Pointiertheit ihrer Thesen, versammelt Theweleit hier etwa dreißig Texte zum Thema. Theweleit selbst meditiert über den Song „It’s Alright Ma“. Die frühere Freundin Suze Rotolo (auf dem Albumcover von „The Freewhelin’ Bob Dylan“ zu sehen) beschreibt die gemeinsamen Zeiten im New York der frühen 1960er-Jahre. Heinrich Detering berichtet über Dylans Rundfunksendung „Theme Time Radio Hour“, die von 2006 bis 2009 ausgestrahlt wurde, und erklärt, warum Bob der Sänger den Nobelpreis längst verdient hätte. Toby Thompsons Exkursion in das Haus, in dem Dylan seine Kindheit verbrachte, steht neben Auszügen aus Sam Shepards Logbuch von der „Rolling Thunder“-Tour der mittleren 1970er-Jahre, der Abschlussdiskussion eines Dylan-Kongresses im Jahr 2007, Romanauszügen von Don DeLillo und Hunter S. Thompson, und den letzten Seiten einer Elke Heidenreich-Erzählung aus dem auch sonst nicht üblen „Der Welt den Rücken“.

Eine spannende Mischung. Seltsam nur, dass sich dann doch vor allem die Topoi ergeben, die man aus der Dylan-Exegetik ohnehin kennt. Dylan bleibt sich durch den Wandel treu, lässt sich nie ganz erfassen, er rekonstruiert (oder erfindet) eine archaische Spielart von Folk, die Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückreicht, das Spätwerk seit dem 1997er-Album „Time Out Of Mind“, das so viel besser sei als die christliche Phase vor dreißig Jahren oder die unentschlossenen, halbherzigen Platten der 1980er-Jahre – aber vielleicht halten sich die Topoi einfach auch, weil sie im Kern zutreffen. Tatsächlich macht seine Unnahbarkeit und seine Sprödigkeit einen guten Teil der Faszination aus, die von Dylan ausgeht. Authentizität und Fiktion, so scheint es, verschmelzen ineinander, sind kaum noch zu unterscheiden, und gerade darum ist der Sänger so ein dankbares Objekt für alle Vorstellungen, die man, je nach Bedarf, auf ihn projiziert. Auch darum funktionierte Todd Haynes’ Spielfilm „I’m Not There“ (2007) so gut, der Dylan in sechs semi-fiktive Personen zerlegte und deren Lebensstränge kunstvoll ineinander verwob. Die Montage macht es – wie in diesem Buch. Man glaubt keinen Moment lang, damit endlich einer letzten „Wahrheit“ über Dylan teilhaftig geworden zu sein. Um frei nach dem jungen Heinz Rudolf Kunze zu sprechen: Glaubt keinem Sänger, und seinen Exegeten schon gar nicht. Trotzdem legt man das Buch so schnell nicht wieder aus der Hand.

Fragt sich nur, für wen „How Does It Feel“ letztlich geschrieben ist. Wer gern herausfinden würde, wer Dylan eigentlich ist, und was er im letzten Halbjahrhundert so getrieben hat, ist mit einer konventionellen Biografie besser bedient. Gestandene Dylanologen, die ernsthaft diskutieren, ob Dylan denn nun am 15. oder am 16. Juni 1965 besser in Form gewesen sei, werden ohnehin die meisten Texte dieses Bandes längst zu Hause haben. Allen anderen aber sei dieses kaleidoskopische Buch ans Herz gelegt. (Fairerweise sei noch hinzugefügt, dass diese Rezension ebenfalls von einem Mann zwischen 40 und 70 geschrieben wurde.)

Titelbild

Klaus Theweleit (Hg.): How does it feel. Das Bob-Dylan-Lesebuch.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2011.
300 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347184

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