In neun Nächten um die Welt

Felicitas Hoppe fährt mit vielen skurrilen Gestalten zur See

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Felicitas Hoppes Prosa ist ins Heitere gewendeter Kafka: Skurrile Szenarien und beständig in die Irre geführte Lesererwartungen verleihen ihr einen eigenartigen Reiz. Das hat Hoppe bereits 1996 demonstriert, als sie mit dem Erzählband "Picknick der Friseure" debütierte und gleich mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, darunter dem "Aspekte"-Literaturpreis des ZDF. Nun also ein Roman: "Pigafetta". Ebenso schmal und ebenso dicht wie ihr Erstlingswerk, und doch ganz anders.

Wer oder was ist Pigafetta? Schon diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Offenbar handelt es sich um ein Gespenst, eine imaginierte Person, einen früheren Begleiter Magellans. Mit dem ersten Weltumsegler verbindet die Erzählerin das Unternehmen der Erdumkreisung zu Wasser, der Rahmen der Romanhandlung. Pigafetta könnte außerdem der Name des Container-Schiffs sein, auf dem sie sich befindet.

Vieles ist möglich, nur wenig gewiß. Das zeichnet den Andeutungsstil Hoppes aus. Sie spielt mit dem Wortsinn, verdreht Metaphern, kappt Bezüge und zeigt eine große Freude an der Sprache, vor allem am Lautmalerischen. Die Sprachmelodie des Romans bildet eine eigene Ebene, sie ist wie das Plätschern des Wassers am Frachter: Hat man sich einmal auf sie eingelassen, kann man sich ihr nicht mehr entziehen.

Was geschieht in den symbolträchtigen neun Nächten, die geschildert werden und zwischen denen nicht erkennbare Zeitsprünge liegen, so daß die Erzählerin ihre Weltumrundung abschließen kann? Nicht viel und doch allerhand. Auf der Textoberfläche: Die Erzählerin lernt die Besatzungsmitglieder und ihre Mitreisenden kennen. Dabei wird sie immer mehr in die kleine, schwankende Schiffswelt integriert. Die Erzählerin verändert sich, bekommt ein Gefühl für die Faszination des Meeres und der Seefahrt.

Was sich unter der Textoberfläche befindet, ist genauso schwierig festzustellen wie das, was das Schiff geladen hat. Nicht einmal die Besatzung scheint darüber genau Bescheid zu wissen. Immer wieder kommt es zu unliebsamen Entdeckungen. Ein "Überschmuggler", offenbar ein Flüchtling, der in ein besseres Land reisen will, taucht auf und stirbt; eine Ladung in Vergessenheit geratener verfaulter Kartoffeln ergießt sich auf das Deck. Das Schiff ist hier wie der Text - voller seltsamer Überraschungen.

Da sind die Personen an Bord, die kaum merkwürdiger sein könnten. Der Kapitän möchte gar kein Kapitän sein; der Koch hat nur ein Kochbuch; Besatzungsmitglieder verschwinden und tauchen (manchmal) wieder auf. Auch der Generalkapitän und die Schwester der Erzählerin entziehen sich einer genaueren Positionsbestimmung: offenbar befinden sie sich nicht an Bord, auch wenn zwischendurch immer wieder von ihnen die Rede ist. Der Generalkapitän könnte Magellan sein, die Verbindung zu Erzählerin und Schwester den Brückenschlag zur ersten Erdumrundung verdeutlichen.

Egal. Wer bei solcher Prosa noch nach dem alleinseligmachenden Sinn sucht, ist zum Scheitern verurteilt. Statt dessen lasse man den Text auf sich wirken, am besten in kleinen Dosen. Man nehme: "Ein Ruder ist schön und verläßlich, ein großer hölzerner Löffel, mit dem der Bäcker das Brot aus dem Ofen holt, man setzt sich zu Tisch." Oder: "Die Matrosen stiegen aus ihren Overalls, wickelten die Turbane ab, nahmen die Lappen von den Gesichtern und beflaggten die Brust mit frischen Hemden. In den engen Fluren vor ihren Kammern roch es nach Ausgang."

Das alles bedeutet nicht, daß Hoppe an der Prosaform Roman gescheitert wäre, weil sie keine Geschichte erzählen könne. Sie erzählt sehr wohl eine Geschichte: die Geschichte der Seefahrt, des Fahrens zur See, und sie erzählt die Geschichte wie noch niemand vor ihr. Dieser Roman ist ein Angebot, eine Einladung zu einer Reise ins Ungewisse. Felicitas Hoppe hat es gezeigt: Man kann die Erde in neun Nächten umrunden. Der Leser wird genau eine Nacht brauchen - die Zeit, die ein Traum währt.

Titelbild

Felicitas Hoppe: Pigafetta.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
160 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3498029509

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch