Mutige Frauen und ängstliche Männer

Jenny Warnecke gibt Louise Astons Roman „Revolution und Contrerevolution“ neu heraus und unterzieht ihn in einer Monografie einer gründlichen Analyse

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ende der 1960er-Jahre ging es auf den Kongressen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes nicht selten hoch her. Dass da mal eine Tomate Richtung Podium folg und am Kopf eines der Worführer landete, wäre wohl kaum in die Geschichte der sozialen Bewegungen eingegangen, wäre das Wurfgeschoss nicht eine verärgerte Reaktion darauf gewesen, dass die Herren Genossen einen Redebeitrag von Helke Sander zur Situation der Frauen im SDS ignorant übergingen. So war aber die Neue Frauenbewegung schwungvoll aus der Taufe gehoben. Das Wissen, nicht die erste Bewegung zu sein, die für die Rechte der Frauen stritt, musste sie sich erst erarbeiten. So stand nicht nur der politische Kampf, etwa gegen das Abtreibungsverbot auf der Tagesordnung, sondern auch die Wiedereroberung der eigenen Geschichte, in deren Verlauf zahlreiche damals zu unrecht vergessene feministische – und literarische – Klassikerinnen die ihnen gebührende Ehre der Wiederentdeckung zuteil wurde. Unter ihnen befanden sich etwa Hedwig Dohm, Anita Augspurg oder Helene Stöcker Klassikerinnen bekannt und ihre Texte zugänglich zu machen ist schon lange nicht mehr das einzige Geschäft feministischer HistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen und VerlegerInnen. Doch gilt es auch heute noch, immer mal wieder eine Entdeckung zu machen, einen Text, ein lange vergriffenes, aber noch immer lesenswertes Buch neu aufzulegen oder eine Autorin und ihr Werk interpretativ zu würdigen.

Die feministische 1848erin Louise Aston ist dank der neuen Frauenbewegung zwar schon lange keine Unbekannte mehr. Eine wissenschaftliche Monografie zu einem ihrer Werke fehlte aber noch immer. Bislang lag nur eine von Barbara Wimmer verfasste und 1994 veröffentlichte Dissertation über die „Selbst- und Zeiterfahrung“ der „Vormärzschriftstellerin“ vor, in der natürlich auch das Œuvre der Autorin zur Sprache kommt. Dass die analytische Lücke nun zumindest hinsichtlich eines Werkes Astons weiter gefüllt wurde, ist dem 1987 gegründeten Helmer Verlag zu danken, zu dessen Reihen schon bald eine mit dem sprechenden Titel „edition klassikerinnen“ zählte. Nun hat seine Autorin Jenny Warnecke Astons Roman „Revolution und Contrerevolution“ nicht nur in ihrer „Frauen im Strudel gewaltiger Thaten“ betitelten Monografie einer erhellenden Analyse unterzogen, sondern das untersuchte Werk zudem als eigenständige Publikation neu herausgegeben.

Wie sie mitteilt, handelt es sich um die erste Neupublikation, seitdem über den 1849 erstmals erschienenen Roman 1853 ein „preußisches Leihbibliothekenverbot“ verhängt wurde. Schon zuvor war seine Autorin aus Berlin ausgewiesen worden. Gründe, die von Aston als „Skizzen aus dem Revolutionsdrama des Jahres 1848“ bezeichnete Publikation zu verbieten, sah die Obrigkeit genug. Trat die Autorin doch für damalige Verhältnisse nicht nur provokativ emanzipiert in der Öffentlichkeit auf, sondern forderte in ihren Werken zu allem Überfluss nicht weniger als „die Säkularisierung der Gesellschaft, die Gleichstellung der Geschlechter, Meinungsfreiheit und Annäherung der europäischen Nationen“, wie Warnecke prägnant zusammenfasst. So diskutiert das Figurenensemble in „Revolution und Contrerevolution“ auch schon mal über einige Seiten hinweg sozialistische, ja anarchistische Thesen, wie etwa Pierre Proudhons damals bekanntes Wort, Eigentum sei Diebstahl.

In ihrem vorliegenden Buch erzählt Aston die Geschichte der beiden so unterschiedlichen Protagonistinnen Alice von Rosen und Lydia von Dornthal weiter, die sie dem Publikum kurz zuvor in einem Roman, dessen Titelblatt der Vorname letzterer schmückt, vorgestellt hatte, und führt das Freudinnenpaar durch die entscheidenden Monate des Revolutionsjahres 1848.

Warnecke charakterisiert Alice von Rosen zutreffend als „intrigante, schöne“ Figur, die „alle Handlenden kennt“, „souverän die Fäden der Revolution in der Hand hält“ und überhaupt in „zahlreichen Rollen“ auftritt: als „Präsidentin der Gesellschaft der ‚Achtzehner‘“, als „konspirierende ‚Baronin‘“, als „Persönlichkeitscoach in Liebesdingen“, als „politische Beraterin“ eines ratlosen Polizeipräsidenten, und nicht zuletzt als „Anführerin auf den Barrikaden.“ In Lydia von Dornthal erkennt Warnecke deren „Schützling“, die das „Idealbild der passiven Kindfrau“ abgibt. Auch das ist nicht unzutreffend. Allerdings ist die Männerfantasie der Kindfrau nun keineswegs das, was der feministischen Literatin als weibliches Idealbild vorschwebte, wie natürlich auch Warnecke weiß, die mit Barbara Wimmer in der „omnipotenten Revolutionärin“ Alice das literarische „‚Sprachrohr‘ der Autorin“ ausmacht.

Neben Lydia gibt es in dem Roman noch eine zweite starke Frau, Ines, eine „Prophetin der Zukunft“ und „erhabene Cassandra der Rache“, vor welcher ihr ehemaliger untreuer Liebhaber „das Auge vor nicht aufzuschlagen wagt“. Warnecke wird Ines’ dramatischer Erfahrung des Liebesverrats allerdings kaum gerecht, wenn sie denkbar zurückhaltend formuliert, die Betrogene sei „durch die Trennung gekränkt“ worden.

Bei besagtem untreuen Liebhaber handelt es sich um das Mitglied des Frankfurter Paulskirchenparlaments Fürst Felix Lichninsky. 15 Jahre vor der Romanhandlung schwängerte er Ines und verließ die werdende Mutter bald darauf. Nun, zur Zeit der Romanhandlung im Revolutionsjahr 1848 ist er der Geliebte Lydias. Der von ihm mit Ines gezeugte, nunmehr zum Jugendlichen herangewachsene Sohn wird ihn am Ende des Romans auf den unausgesprochenen Wunsch der Mutter hin erdolchen. Die Figur des Fürsten Lichninsky lehnt sich an das historische im Revolutionsjahr ermordeten Mitglieds des Paulskirchenparlaments Fürst Felix Lichnowsky an.

Überhaupt hat Aston, mit ihrem Werk einen „Metadiskurs über ihre Zeit“ geschaffen, der sich durch ein „anspielungsreiches Verweissystem“ auszeichnet, wie Warnecke anmerkt. Dabei „verlieren“ die ProtagonistInnen allerdings „an Tiefe“ und schrumpfen zu „flach gezeichneten“ Figuren, die als „Aktionisten einer bewegten Zeit voller Umbrüche“ herhalten müssen. Ein, wie Warnecke anmerkt, in der Vormärz-Literatur nicht unübliches Verfahren.

Doch „widerspricht“ Aston Warnecke zufolge auch der zeitgenössischen „scharf gesellschaftlichen Vorstellung davon, wie die ‚Natur der Frau‘ aussieht und welche moralischen Imperative daran gekoppelt wurden“. Dies unternimmt die Schriftstellerin etwa, indem sie die damals gängigen Geschlechterklischees umkehrt. So sind Frauen wie Alice (und auch Ines) nicht nur gefährlich, sie fühlen sich darüber hinaus geschmeichelt, wenn sie als solche erkannt werden. Alice, die sich während der blutigen Kämpfe in Männerkleider wirft und auf die Barrikaden eilt, verachtet die „jämmerliche Schwachheit der Männer, die nur mit Zittern etwas wagen und wenn sie es gewagt haben, von Angst und bösem Gewissen gefoltert werden“.

So bevölkern mutige Frauen und ängstliche Männer den Roman. Doch gibt es zumindest auch eine schwache Frauenfigur. Alices Freundin und Gegenentwurf Lydia muss die hilflose, abhängige Frau abgeben. Abhängig ist sie aber immerhin nicht von einem ‚starken Mann‘, sondern von ihrer starken Freundin. „Händeringend“ bittet sie die in den Kampf stürmende Gefährtin: „Ich beschwöre Dich, Alice, bleib! Was soll ich anfangen ohne Dich. Ich ängstige mich hier zu Tode.“ Damit entspricht sie ganz dem Klischee der ängstlichen Frau. Das aber wird durch die mutige Alice nicht nur ge- sondern durchbrochen.

Trotz solcher gängigen Geschlechterklischees zuwiderlaufender Figurenkonstruktionen unterlaufen Aston beziehungsweise ihrem ‚Sprachrohr‘ Alice gelegentlich Formulierungen, die den Menschen als Mann denken. So etwa, wenn die Revolutionärin über eine Figur meint: „Er war – wie alle Phantasiemenschen – von Natur Oppositionsmann“. [Herv. RL] Warnecke merkt zudem kritisch an, dass Aston ihre weiblichen Figuren beim Vornamen, die männlichen hingegen beim Nachnamen zu nennen pflegt. Bekanntlich eine bis heute in der Literatur und der ihr geltenden Wissenschaft verschiedentlich gepflegte Unart. Doch Warnecke ist darüber hinaus noch etwas mehr aufgefallen. Männliche Figuren „aus unterprivilegierten Schichten“ werden von Aston ebenfalls mit dem Vornamen genannt. In dieser Anrede nivelliert sie Frauen und proletarische Männer als ‚Andere‘ des Norm stiftenden bürgerlichen – in dem Roman auch schon mal adligen, jedenfalls aber wohlsituierten – Mannes.

Warnecke hat ihrer oft detailreichen und weitgehend überzeugenden Analyse von Astons Roman eine Kurzbiografie der Literatin vorangestellt. Denn, so meint sie, „Astons Biographie“ sei „als Einstiegslektüre in die Auseinandersetzung mit ihrem Werk unerlässlich“. Nun, hilfreich mag die Kenntnis der Biografie für die Interpretation des Werkes tatsächlich sein. Aber unerlässlich? Das dürfte wohl doch um einiges zu viel gesagt sein. Warnecke selbst warnt denn auch nachdrücklich vor einer (allzu) autobiografischen Lesart der Romane Astons. Eine Gefahr, die sie offenbar nicht so sehr im Falle von „Revolution und Contrerevolution“ gegeben sieht, sondern mehr noch bei den beiden Vorläuferromanen „Aus dem Leben einer Frau“ und „Lydia“. Beide, so konzediert sie, enthielten zwar „teilweise Bezüge“ zum Leben ihrer Verfasserin, doch seien sie „nicht streng autobiographisch zu lesen“. Im Weiteren betont die Literaturwissenschaftlerin, dass „zum Verständnis von ‚Revolution und Contrerevolution‘ Astons Biografie nicht ausreicht“, und beklagt, dass „die autobiografische Färbung ihrer Romane zahlreiche RezensentInnen irritiert und zu dem Kurzschluss veranlasst hat, Aston beschreibe ihre eigenen Erlebnisse.“ Eine Fehllektüre. Nicht um eigene Erlebnisse zu literarisieren hat Aston die „Gattung Roman“ gewählt, sondern „um bestimmte Themen durchzuspielen und ins Bewusstsein zu rücken“.

Kein Bild

Jenny Warnecke: Frauen im Strudel gewaltiger Thaten. Louise Astons "Revolution und Contrerevolution" (1849).
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2011.
295 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413207

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Louise Aston: Revolution und Contrerevolution.
Herausgegeben von Jenny Warnecke.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach (Taunus) 2011.
256 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413191

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch