Wie man blöd wird

Anmerkungen zum Band „Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität“ von Markus Metz und Georg Seeßlen

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als „Blödmaschinen“, so erklären uns die Autoren, hat man das Bindeglied zwischen Mensch und Welt zu verstehen. Und dieses Bindeglied, eine Art Human Interface, kann, muss aber keine Blödmaschine sein. Vielleicht ist es noch besser zu verstehen, wenn man die „Blödmaschine“ als eine Art Interpretationsmaschine versteht, die sich zwischen Mensch und Umwelt schaltet, diese Welt „interpretiert“ und die Ergebnisse oder „Erkenntnisse“ an den Menschen weitergibt. Die „Blödmaschine“ kommt dabei der „natürlichen“ Neigung des Menschen nach Bequemlichkeit und Faulheit – von den Autoren mit dem Begriff „Benommenheit“ zusammengefasst – entgegen: Sie übernimmt das Denken und sagt dem Individuum, was es zu denken, und vor allem zu kaufen hat, um glücklich und zufrieden zu sein.

Das Autorenduo macht verschiedene Formen der „Blödmaschinen“ aus und analysiert sie mehr oder weniger brillant. Dabei ist die Beschreibung der BILD-Zeitung als „Mutter aller Blödmaschinen“ ein echtes Highlight des Buches. Man knüpft damit an die Anfänge der Medienanalyse und kritischen Medienbetrachtung in den 1970er-Jahren an – man denke nur an Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1974), eine literarische Aufarbeitung der journalistischen Strategien der BILD-Zeitung im Kontext der Diskussionen über den Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Problematisch wird es in der Monografie nur, wenn die brillante Analyse in undifferenziertes Geschwätz übergeht, wenn gezielte Polemik ihr Ziel aus den Augen verliert und undifferenziert über alles hinwegwischt.

Trotzdem gelingen immer wieder treffende Miniaturen, etwa bei der Analyse der sogenannten „Postpersönlichkeit“, die als Folge von erfolgreich arbeitenden „Blödmaschinen“ durch wenig differenzierten Medienkonsum mit dem Verlust innerer Grenzen und Leitlinien klar kommen muss, so dass es für ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr reicht. Kritisch anzumerken ist, dass die Autoren mit dem etwas veralteten Schichtmodell an ihrer Gesellschaftsanalyse arbeiten. Die These ist: erfolgreiche Blödmaschinen erzeugen in letzter Konsequenz eine bildungsferne, verblödete Unterschicht, die den Werbungs- und Marketingsstrategien der Industrie ebenso ausgeliefert ist, wie denen der Politik. Axiom ist: Es gibt keinen Weg, wie sich die „Unterschicht“ aus dem Kreislauf befreien könnte, kann sich doch die „Unterschicht“ – so postulieren die Autoren – selbst nicht als befreit denken und somit kein Bewusstsein für ihre „falsche“ Position entwickeln.

Irgendwie erinnert das nach fast 800 Seiten an den „allumfassenden Verblendungszusammenhang“ bei Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und den Philosophen der Kritischen Theorie. Dabei ist gerade von Adorno nur ein einziger Titel im Literaturverzeichnis zu finden. Aber am seltsamsten ist das deprimierende Menschenbild, mit dem die Autoren arbeiten. Ist es doch ein höchst problematischer Ansatz, die „Doofen“ in einer „Unterschicht“ zusammenzufassen. Erfahrungsgemäß sind diese auch in den Reihen von Politik und Industrie anzutreffen, auf allen Schulstufen und in fast allen Ausbildungsbereichen bis hin zur Universität. Aber diese Feststellung würde einer einfachen Schlussfolgerung im Wege stehen und vielleicht wieder auf den Anfang der Untersuchung zurückweisen. Und natürlich gibt es auch einen Grund, warum diese Feststellung keinerlei Auswirkung auf die Untersuchungsergebnisse hat: Plötzlich verhält es sich mit den „Blödmaschinen“ ebenso wie mit deren Analyse.

Natürlich ist es einfach und manchmal sehr amüsant, sich über DSDS, die Supernanny, den Schuldenjäger und eine mediengerechte Katastrophenberichtserstattung und deren unreflektierte Konsumenten lustig zu machen. Aber ist der medienkritische Standpunkt nicht vielleicht ein wenig arrogant, denn er vernachlässigt, wie angenehm es manchmal ist, sich durch Nonsense – denn nichts anderes ist diese Form von Unterhaltung und „Infotainment“ – zerstreuen zu lassen? Sollten wir nicht eher fragen, welche Bedürfnisse diese Form der Unterhaltung erfüllt? Und ob der so paralysierte Konsument, der denn doch so blöd ist, nicht vielleicht einfach nur nach einem spannenden, intelligenten und unterhaltsamen Lebenssinn sucht, diesen aber nirgends findet?

So kann die Analyse der „Verblödungsursachen“ oft das Gegenteil bewirken und diese nicht nur nicht auflösen, sondern ihre Wirkung auf die Analyse ausdehnen. Aber dies finden wir ja in ähnlicher Form auch schon in der „Dialektik der Aufklärung“ formuliert. Womit wir wieder bei Adorno und Horkheimer wären: Vielleicht sollt man einfach einmal wieder einen Blick in dieses schon etwas ältere Werk werfen.

Titelbild

Markus Metz / Georg Seeßlen: Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
782 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783518126097

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