Weiterdenkerin

Zwei Neuerscheinungen befassen sich mit Leben und Werk Lou Andreas-Salomés

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang 2011 verstrich die Gelegenheit, Lou Andreas-Salomé anlässlich ihres 150. Geburtstages zu würdigen, weitgehend ungenutzt. Nicht anders sah es zu Beginn diesen Jahres aus. Diesmal wäre ihr 75. Todestag zu begehen gewesen. Immerhin aber werden sie und ihr Schaffen als Literatin, Philosophin und Psychoanalytikerin sowie nicht zuletzt als Geschlechtertheoretikerin regelmäßig in wissenschaftlichen und biografischen Publikationen gewürdigt. Zu ihnen zählen zwei jüngst erschienene Bücher, deren eines von Gunna Wendt verfasst wurde. In ihrer Doppelbiografie beschreibt die Autorin Salomés Beziehung zu Rilke als „eine amour fou“. Auch Christiane Wieder fasst Salomés Verhältnis zu dem Lyriker ins Auge, richtet ihren Fokus aber doch etwas anders aus, wenn sie Salomés psychoanalytisches Werk „im Spannungsfeld“ zweier „Antipoden“ und „großer Denker zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ verortet. Gemeint sind der „philosophische Dichter“ Rainer Maria Rilke und der „analytische Naturwissenschaftler“ Sigmund Freud.

Wendt interessiert sich hingegen nicht so sehr für Freud, sondern konzentriert sich auf Salomé und Rilke, wobei sie in letzterem weniger den besagten philosophischen Dichter, sondern vielmehr einen, nein den „großen europäischen Troubadour“ ausmacht, der „in amerikanischen Songpoeten“ wie Bob Dylan und Leonhard Cohen „seine Nachfolger gefunden“ habe. Von Dylan schlägt sie den Zirkel zurük zu Salomé. Denn sein „Poem ‚Isis‘“ – ein Song des in den 1970er-Jahren veröffentlichten Albums „Desire” – erzähle „auf gewisse Weise“ Salomés „Geschichte“. Dies zu erfahren, würde den Singer/Songwriter vermutlich doch überraschen, wäre da nicht schon so Einiges – mal Sinniges, mal Unsinniges – in seine Lieder interpretiert worden. Jedenfalls belässt es Wendt nicht bei einem Blick auf die Beziehung Salomés zu Rilke, sondern operiert mit zahlreichen Rückblicken bis hinein in die Kindheiten ihrer ProtagonistInnen und zeichnet dabei einen Abriss beider Leben, der erst mit Rilkes frühem Tod endet. Dabei beschwört sie en passant etliche Gemeinsamkeiten zwischen Salomé und Franziska zu Reventlow, aber auch zu Paula Modersohn-Becker. Zwei andere kreative Frauen, zu denen Wendt ebenfalls Biografien vorlegte.

Anders als Wendts Biografie richtet sich Wieders „hermeneutische“ Untersuchung nicht an ein allgemeines, sondern nur an ein – wenn auch „breites“ – „Fachpublikum“. Denn selbst diesem, so rechtfertigt die Autorin die Adressierung ihres Buches, seien Salomés Werke „weitgehend unbekannt“. Bislang, klagt sie, habe man sich „allenfalls“ dafür interessiert, „welche Bedeutung Andreas-Salomé – als Muse – für den jeweiligen prominenten Dichter und Denker gehabt haben mag.“ Gemeint ist neben Freud auch Rilke und Nietzsche. „In welcher Weise jedoch eine Wechselwirkung bestand und insbesondere wie sie diese Interaktion verarbeitete und dies einen Niederschlag und eine Entsprechung in ihrer Arbeit fand, war bisher nicht Gegenstand der psychoanalytischen Forschung“, konstatiert Wieder. Und so ganz verkehrt ist das tatsächlich nicht. Allerdings gab es sehr wohl auch schon vor ihr AutorInnen, die Salomés eigenständigen Beitrag zur Psychoanalyse nicht nur erforscht, sondern auch gewürdigt haben, wie etwa Inge Stephan, Christine Kanz und – mit Abstrichen – das AutorInnenduo Appignanesi und Forrester. Von ihnen allen zieht die Autorin allerdings nur das Buch „Die Frauen Sigmund Freuds“ der beiden letztgenannten heran.

Nicht zu Unrecht rechnet Wieder „die in jeder Hinsicht ungewöhnliche, unkonventionelle und kapriziöse Lou Andreas-Salomé“ zu den „pronociertesten und zugleich rätselvollsten Erscheinungen der frühen Entwicklungsgeschichte der Freud’schen Psychoanalyse“. Da das Œuvre der psychoanalytischen „Weiterdenkerin“ stark mit ihrer Biografie verwoben sei, wertet sie es „vor dem Hintergrund einer Zusammenschau aus biograhischen Elementen, sie prägenden Beziehungen und ihrem Wirken“ aus. Denn nur, wenn man Salomés Schriften „im Spiegel ihres Lebens“ lese, träten die Konturen ihres „psychoanalytischen Verständnisses“ deutlich hervor.

Wendt zufolge „vermischt“ Salomé „in allen ihren Werken“ sogar „Autobiographisches mit Fiktion“. Allerdings denkt die Biografin hierbei weniger an Salomés psychoanalytische oder sonstige theoretische Schriften, sondern insbesondere an ihr umfangreiches literarisches Œuvre.

Was nun Salomés psychoanalytisches Werk betrifft, so bedient sich Wieder einer „hermeneutischen Methode“, die sie mit der philosophischen „Vorgehensweise“ des Philologen und Platon-Forschers Konrad Gaiser zu verbinden sucht, indem sie sich in „Analogie“ zu dessen Statement, „die Erkenntnis der Seinsprinzipien an sich“ sei „dem Logos entzogen und einer intuitiv-‚mystischen‘ Erfahrung vorbehalten“, der „Ansammlung unvollständiger Fragmente“ nähern will, aus denen Salomés psychoanalytisches Werk allererst zusammenzusetzen sei. Neben dem „unwissenschaftlich anmutenden, fragmentarischen“ Charakter von Salomés psychoanalytischem Werk träten dem Verständnis und der Interpretation als weitere Erschwernisse ihr „wenig wissenschaftlicher Sprachstil“, ihre „eigenwillige Benutzung der psychoanalytischen Termini“, die „eher bildhafte, geradezu poetische Ausdrucksweise“, sowie der „verwirrende und komplizierte Satzbau“ entgegen.

Während Autorinnen wie Christine Kanz die biologistisch-essentialistische Geschlechtermetaphysik herausgearbeitet haben, vor deren Hintergrund Salomé ihren psychoanalytischen Ansatz entwickelt, ist Wieders Blick auf Salomé selbst nicht frei von biologistischen Geschlechteressentialismen. So etwa, wenn sie ausführt, die von Inge Stephan zu den „Gründerinnen der Psychoanalyse“ gezählte Autorin sei „in zentraler Hinsicht Frau“ gewesen und fortfährt, „von daher war ihr ein intensives emotionales Erleben und eine mehr intuitive Sicht der Dinge besonders zu eigen.“ Auch habe ihr „als Frau und Schriftstellerin“ die „Form von Metaphern und Gleichnissen“ näher gelegen „als wissenschaftliche Begrifflichkeit“. So habe Salomés Anliegen denn auch darin bestanden, „dem wissenschaftsgläubigen Akademiker und Arzt Freud ihre – beziehungsweise. zumindest eine – weibliche, seelennahe Seite gegenüberzustellen“. Denn sie habe „als Frau, aber auch als ihr ganz Ur-Eigenes, ein ausgeprägtes instinktives und intuitives Wissen um das, was sie ‚Urgrund‘ nannte“ besessen.

Schreibt Wieder Salomé vor allem intuitive Erkenntnisse zu, so gönnt Wendt ihr eine besonders „analytische Denkweise“. Allerdings scheint sie darin eher einen Fluch zu sehen. Denn Salomé habe sie „nicht abstellen“ können, „nicht einmal in Situationen, die einfach gefühlt und genossen werden wollen.“ Das allerdings ist ein so intimes Wissen, dass man fast glauben möchte, Wendt habe es nächtens in der Bettritze von Salomés Schlafstätten erlangt. So leiden beide Publikationen an je eigenen Schwächen.

Titelbild

Gunna Wendt: Lou Andreas-Salomé und Rilke - eine amour fou.
Insel Verlag, Berlin 2010.
132 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783458353522

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Titelbild

Christiane Wieder: Die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Ihr Werk im Spannungsfeld zwischen Sigmund Freud und Rainer Maria Rilke.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.
110 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783525401712

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