Der Kaiserin neues Kleid

Burcu Dogramaci berichtet in ihrem Buch „Wechselbeziehungen“ von den Ursprüngen der Mode, ihrer Inszenierung und Gestalt im 19. Jahrhundert

Von Nadine IhleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Ihle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Schulter zum Betrachter gewandt, den Rücken leicht nach hinten geneigt, das Kinn anmutig in einer Linie mit dem Arm schwebend, das Ballkleid mit einer lockeren Körperdrehung imposant in Pose gesetzt – der Auftritt von Kaiserin Elisabeth erinnert an das Schaulaufen auf dem sprichwörtlichen roten Teppich. Es handelt sich allerdings nicht um ein Premierenfoto in einer Boulevardzeitung, sondern um ein großformatiges Ölgemälde von Franz Xaver Winterhalter aus dem Jahre 1865. Heute stünde unter dem legendären Bild der Kaiserin vielleicht so etwas wie: ‚Sissi, jung und schön in einem Traum aus Tüll und Seide, bestickt mit Hunderten von Ornamenten; exquisite Edelweiß-Diamanten in den locker fallenden Locken; Kleid von Worth.‘

Charles Frederick Worth war der erste Couturier der Modegeschichte; seinen Namen im Taillienbund des eigenen Kleides eingestickt zu wissen, zeugte von Eleganz und Luxus. Den Zusammenhängen zwischen Mode und Kunst des 19. Jahrhunderts, zwischen Gestalt und Gesellschaft, zwischen bürgerlichem Selbstbewusstsein und künstlerischer Inszenierung, zwischen Fotografie und Malerei spürt Burcu Dogramaci in ihrer Studie als „Wechselbeziehungen“ nach. Sie erklärt die Entstehung der Spielregeln der Mode und ihrer Repräsentation, wie wir sie auch heute noch vertraut und allgegenwärtig erleben.

Im 19. Jahrhundert bildete sich ein kompliziertes Beziehungsgeflecht verschiedenster Entwicklungen und Einflüsse auf das Modegeschehen aus. Die Möglichkeiten der industriellen Produktion beeinflusste die Mode ebenso wie die technischen Entwicklungen der Fotografie und die gesellschaftlichen Entwicklungen des Bürgertums. Wo andere Beschreibungen leicht ins Unübersichtliche oder Uferlose gedriftet wären, bleibt Dogramaci klar und strukturiert. Auch wenn die Einteilung in sehr kurz gehaltene Kapitel manche Doppelung und Wiederholung provoziert, greifen die Themen dennoch sehr sinnvoll ineinander.

Die typische Körperhaltung, die leichte Drehung des Torsos bei den Modeaufnahmen entstand vermutlich aus einem einzigen Grund: den Schnitt und den Fall der Kreationen von Worth ideal in Szene zu setzen. Seine elegante Rückenlinie, konform mit den Modeströmungen der Zeit und doch individuell mit seiner eigenen Handschrift wiedererkennbar, entfaltet eben erst dieser Rückansicht ihre eigentliche Wirkung. Der Inszenierung des Modells und der Trägerin kam somit gleichermaßen viel Aufmerksamkeit und Bedeutung zu.

Dogramaci zeigt, wie im 19. Jahrhundert Kleidung, Accessoires und Zeitgeist als entscheidende Elemente zur Abbildung der Persönlichkeit zusammenwirkten und wie die Mode sowohl zur Selbstinszenierung als auch zum Selbstverständnis der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten beitrug respektive sie spiegelten. Die Stärke der Studie liegt darin, sich nicht in diesen bilateralen Wechselwirkungen zu beschränken, sondern darüber hinauszugreifen und gleichzeitig die Entwicklungen im Bereich der Modegrafik, der Modefotografie, der Malerei und des Textilen selbst mitzudenken. Besonders hervorzuheben sind die sorgsam ausgewählten Bildbeispiele, die die gegenseitigen Stimuli der Bereiche untereinander überzeugend verdeutlichen.

Auch wenn ‚Worth‘ heute vielleicht nur noch Modehistorikern als Label bekannt sein dürfte und die meisten seiner Kleider längst zu Mottenfutter zerfallen sind – seine Kreationen haben im kollektiven Bewusstsein ihren festen Platz. So ist es selbst knapp 150 Jahre später noch möglich, ohne weitere Erklärung sein legendäres ‚Sissi‘-Modell als schwarz-weiß Silhouette auf einem Musical-Plakat abzubilden – und jeder hat sofort die Fülle der üppigen Stoffbahnen und seine anmutig darin präsentierte Trägerin vor Augen. Die Wechselbeziehungen der Modegeschichte des 19. Jahrhundert wirken eben immer noch selbst in unsere Gegenwart hinein.

Titelbild

Burcu Dogramaci: Wechselbeziehungen. Mode, Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert.
Jonas Verlag, Marburg 2011.
158 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783894454463

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