Nordgelichter

Ulrich Klappsteins akribische Nachforschungen zur Präsenz von Theodor Däubler und seinem Großepos „D a s N o r d l i c h t“ im Werk Arno Schmidts

Von Oskar AnsullRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oskar Ansull

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

…ins All geschleuderte Materie, ein Haufen heißer

Elektronen, zerborstene Sterne, was weiß denn ich…

Judith Herrmann, „Nichts als Gespenster“ (2003)

Wer der vor 99 Jahren geborene Autor Arno Schmidt [1914-1979] war, muss gegenwärtig noch nicht in Erinnerung gerufen werden, obwohl ich mir da nicht ganz so sicher bin. Aber, ich gehe mal naiv munter davon aus, dass die Nennung des Namens Arno Schmidt bei durchschnittlichen Hardcorelesern – zumindest ab 50 Lebensjahren – keine größere Irritation auslösen wird. Hingegen dürfte der Name Theodor Däubler [1876-1934] schon ein sichtbares Großfragezeichen in die Luft malen, das sich noch vergrößert, wird nach der Präsenz seines Epos’ „Das Nordlicht“ [1910 und 1921/22 und 2004, kritische Ausgabe] im Werk Arno Schmidts gefragt. Das ist schon sehr abseitig. Verschwindend wenige sind es, die hier durchblicken lassen können, dass diese Frage sie schon immer interessiert habe und sich damit leicht als Zugehörige einer unter Kulturschutz stehenden Spezies outen, die nicht gleich an rot-weiße Leuchttürme denkt oder an TV-Ratespiele, wo Leuchten des deutschen Nordens gekürt werden. Wer aber die merkwürdigen Lichterscheinungen am Nordpol auf der Platte hat und sich unscharf an Arno Schmidt Lektüren erinnern kann, ist schon fast als erleuchtet anzusehen. Kurz: Ulrich Klappsteins Sichtung, dessen Umschlag eine sagenhafte Nordlichtgötterdämmerung Stefan Forsters (Will, Schweiz) ziert, ist die literaturwissenschaftliche Spezialausleuchtung eines bisher noch relativ im Dunkel liegenden Großgebietes der Herz- und Hirnkammer Arno Schmidts.

Däublers Nordlichtepos wurde seinerzeit in zwei Fassungen in besten Verlagen veröffentlicht, die erste in einer elitären 700er-Auflage! und gilt mit mehr als 30. 000 Versen als Hauptwerk des expressionistischen Dichters, der auch ein legendenumwobener Lebemann gewesen sein soll. Die wildmähnigen Porträts der Zeit illustrieren das glaubhaft. Das Epos hat danteske („Göttliche Komödie“) Ausmaße und lässt eine ungebremste Titanenwut erahnen, wie sie Poeten hin und wieder überkommt. Auch ein Arno Schmidt, schon als Jüngling von 16 bis 19 Jahren von Meister Däublers nordlichternder Poesie, und mächtiger Lebensgestalt infiziert, konnte nicht anders und wuchtete 60 Jahre später titanenverdächtig mit „Zettel’s Traum“ (1970) ein schier alles überbieten wollendes Großgewicht, das von Däublerzitaten und -anspielungen so ziemlich durchflackert wird, wie Klappstein nachweist. Kindheit und Jugend schaffen unauslöschliche, prägende Bilder, wie Enthüllungen der Werkbiografien von über 1.001 Poeten belegen.

Noch zu Lebzeiten sah Theodor Däubler seinen Stern am Literaturhimmel sinken. Das so hoch und heer installierte „Nordlicht“ erlosch bald, samt seiner Lyrik, die in einigen Sammlungen noch umfangreich vertreten war. Als nach 1945 eine den Dichter würdigende Werkauswahl erschien, entdeckte die Kritik (zum Beispiel Günter Blöcker, 1956) den in Teilen weitaus besseren expressionistischen Prosaisten Däubler und stellte ihn vor den Lyriker. Das 30.000 Verse auftrumpfende „Nordlicht“ überzeugte überhaupt nicht mehr, was wenig verwundert, hatte doch Edgar Allan Poe schon schwere Bedenken bei allem was aus über 100 Versen zusammengedichtet wird.

Das sah Arno Schmidt ganz anders. Ihm war und blieb Däubler von Jugend an eine zentrale Kraftquelle, die sich „wie ein roter Faden“ (Klappstein) durch sein Werk zieht, weitaus tiefenwirksamer als alle anderen Namen, welche die Schmidt-Lesewelt bevölkern.

Ulrich Klappstein gehört nicht zu den Urgesteinen der Schmidtausleger, er ist ein Neuzugang unter den Schmidtindianern und hat mit feinem Gespür den bisherigen Mangel an Aufdeckung und Würdigung von Däubler-Spuren bei Schmidt erkannt. Klappstein steigt noch einmal in die doch ziemlich verquasten Nordlichtgewitter zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf und entfaltet sehr lesbar das zeitliche und literarische Umfeld dieser Dichtung, die auch er als „schwierigen Fall“ apostrophiert und den Willigen nahebringt, ehe er sich ausführlich der eigentlichen „Däubleriana“ im Werk Arno Schmidts von den Anfängen bis zum Ende widmet. Es verwundert nicht, auch nach Klappsteins Lektüre, dass Schmidt & sein Werk sich so außerordentlich Lesegemeinde bildend ausgewirkt hat, zumindest recht stark in den 1960er- bis 1990er-Jahren, spukt doch die Dichterpriesterei & die Großmeisterpose! allenthalben in den Werkgruppen Däubler/Schmidt. Und Theodor (das heißt Geschenk Gottes) Däubler war ja auch als Gestalt und Kopf eine imposante Erscheinung, die religiöse und geistige Führungspersönlichkeit ausstrahlte, für die Menschen und bisweilen auch Leser. stets eine gewisse Anfälligkeit zeigen.

Im Literaturbetrieb brachte er es bis zum Dichterakademiepräsidenten und wurde zweimal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Es gab sogar 1926/27 den Aufruf zur Gründung einer Däubler-Gesellschaft zu Lebzeiten des Meisters, unterzeichnet unter anderem von Ernst Barlach, Gerhart Hauptmann, Oskar Kokoschka, Thomas Mann, Richard Strauß und Carl Schmitt, letzter war einer seiner größten Bewunderer, der noch 1957 Ernst Jünger mit aufgeblasenem Gerede („Jetzt wächst er wie ein Riese, der im Schatten zeitgenössischer Berühmtheiten verschwunden war, plötzlich über die Prominenten seiner Zeit hinaus und stellt sie nun in seinen Schatten. Das ist das aufregende Schauspiel dieses neuen Däubler-Buches.“) den verehrten Däubler anpries. Jünger blieb distanziert.

Ich hätte mir, nach den zwei großen Teilen in Klappsteins Studie, noch einen abschließenden, die Befunde gewichtenden Teil gewünscht. Das Reflektieren des doch immerhin irritierend starken Einflusses eines tosenden, brausenden, mit Sternen und Steilem und Strotzendem jonglierenden Däubler, dem poetisch alles ins Gewalttätige, Massenhafte und Titanische drängt, wo sogar die zartstimmige Nachtigall – wenn schon denn schon – millionenfach losdröhnt: „Millionen Nachtigallen schlagen“.

Diese teutonische Mischung gedieh in Italien, Däubler war nie im ‚hohen Norden‘, kam über Hannover und die flache Heide nicht hinaus, er erschaute sein Nordlicht mit geistigem Auge, mediterran gewärmt, lebte seinen poetischen Nord- und Sonnenlichtfuror in „angestrengter Formgebärde“ von Ferne. Däubler sei „ein ins Kolossalische gesteigerter Idylliker“, konstatierte einmal ein Kritiker. Was das alles über Schmidt und seine Prosa und Lyrik aussagt, die erhellende Summe aus diesem Fundus, die dürfen sich die Leserinnen und Leser selbst ziehen.

Etwas Nordgelichter wird da schon zum Vorschein kommen, manches, das so oder so schon bekannt ist. Ganz sicher aber, werden einige ins Internet schauen: www.zeno.org oder auf der Website der Arno-Schmidt-Stiftung und dort mit Erfolg nach Theodor Däubler Ausschau halten. Ulrich Klappstein beklagt oftmals, wie wenig noch von Däubler zu finden sei und dass die kritische Werkausgabe unvollendet geblieben ist. Das ist sicher bedauerlich, doch auch ein deutliches Zeichen dafür, dass selbst ein literaturwissenschaftliches Interesse zurzeit erloschen und nicht absehbar ist, wann und wie stark es noch einmal aufflammen wird. Aber eine kleine und fein edierte Ausgabe der expressionistischen Kurzprosa von Däubler, insbesondere die Notizen zu seinen Malerfreunden Edvard Munch, Marc Chagall oder Paul Klee, das wäre schon was.

Kein Bild

Ulrich Klappstein: „Nordlichter“. Theodor Däubler im Werk Arno Schmidts.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2012.
140 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783895289262

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