Janz, janz dicht dran?

Zu Jonathan Franzens Essayband „Weiter Weg“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich mag ich keine Sammelbände. Und keine Essaysammlungen. Warum hat der Autor sich keine Mühe gegeben und einen etwas längeren Text geschrieben? Und wenn er schon Grabreden, Begrüßungsworte und kritische Reportagen schreibt, dann doch bitte dort veröffentlichen, wo sie hingehören. Und so steht das neue Buch von Jonathan Franzen, dessen Roman „Korrekturen“ unzweifelhaft zu einem der großartigsten Bücher der englischsprachigen Literatur der letzten Jahrzehnte gehört, unter keinem guten Stern. Es kann ja nicht so gut wie die „Korrekturen“ sein und was soll das dann überhaupt? Wem kann man so etwas empfehlen oder wer soll das lesen? Und was steht eigentlich überhaupt drin?

Die Frage sollte man vielleicht zuerst klären, damit man das Buch nicht unnötigerweise zur Hand nimmt. Man findet einige Texte zu Büchern, die Franzen gut und meistens sogar sehr gut findet. Dabei liegt er mit seiner Literaturkritik, die sehr unterhaltsam zu lesen ist, immer ganz richtig. Aber es sind im deutschsprachigen Bereich nicht unbedingt so sehr bekannte Bücher, die er empfiehlt. Und er schreibt über Tiere. Und über Natur im Allgemeinen. Und darüber, wie es ist, einfach einmal „Weiter weg“ zu sein.

Aber auffallend ist, je genauer man versucht, den Inhalt dieser Essaysammlung einzugrenzen, desto weniger wird man ihr gerecht. Man hat das Gefühl, bei der Beschreibung der Inhalte der Essays bewegt man sich von dem eigentlichen Kern des Buches weg. Denn es ist eher eine Stimmung, ein Gefühl von Text und für Literatur, die das Buch vermittelt, als die essayistische Abhandlung von Themen. Und dies nicht zu letzt, weil Franzen immer wieder seine persönlichen Erfahrungen in die Essays einfließen lässt: „Die Aussicht auf Schmerz allgemein, auf den Schmerz des Verlustes, der Trennung, des Todes macht die Versuchung so groß, die Liebe zu meiden und im sicheren Reich des Gefallens zu bleiben. Meine Frau und ich, die wir zu jung geheiratet hatten, gaben schließlich so viel von uns selbst auf und fügten einander so viel Schmerz zu, dass wir beide gute Gründe hatten zu bereuen, den Sprung jemals gewagt zu haben.“ Auch sein Plädoyer für reale und nicht virtuelle Beziehungen ist beeindruckend, vor allen, wenn er prägnante Formulierungen findet, für die die Übersetzer in dem vorliegenden Sammelband nahezu immer entsprechende Formulierungen finden.

Besonders prägnant ist der Beitrag, in dem das Telefonieren in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Sehr lustig, treffend und vor allem auch gut begründet gelingt es Franzen in „I just called to say I love you“ das Auge des Lesers auf in der Gegenwart eher unpopuläre Aspekte zu lenken: „Mein Vater liebte die Privatsphäre, was bedeutet: Er respektierte den öffentlichen Bereich. Er glaubte an Zurückhaltung, Protokoll und Vernunft, weil ohne das seiner Überzeugung nach eine Gesellschaft unmöglich debattieren und Entscheidungen zu ihrem Besten fällen kann. Es wäre schön gewesen, zumal für mich, wenn er gelernt hätte, seine Gefühle meiner Mutter gegenüber mehr zu zeigen. Aber jedes Mal, wenn ich heute eines dieser ins Handy geschrienen elterlichen „Ich liebe dich“ höre, empfinde ich es als Glück, den Vater gehabt zu haben, den ich hatte.“

Am bemerkenswertesten und sehr überraschend war die Lektüre des Essays „Der chinesische Papageitaucher“. Selbst wenn man sich nicht für Tierschutz und insbesondere für den Schutz von Vögeln interessiert, gelingt es Jonathan Franzen, über einen längeren Zeitraum den Leser mit der reportageartigen Geschichte zu fesseln. Franzen besitzt die Gabe, das Leben in Literatur zu transzendieren und damit über Sprache und Reflexionsniveau der Texte, über Spannung und intelligente Textdramatik den Leser auch an schwierige Themen zu binden. Das Jonathan Franzen zu den etwa zwei Dutzend relevanten englischsprachigen Schriftstellern der Gegenwart gehört, war auch vor der Lektüre des Bandes klar. Aber das er auch in seinen Essays und besonders in diesem Sammelband nicht nur eine lesenswerte Lektüre verspricht, sondern dieses Versprechen auch einlöst, das ist die große Überraschung dieses Sammelbandes. Seit sehr langer Zeit eine Textsammlung, die zu dem kurzweiligsten der letzten Jahre gehört. Und die Überraschung: diese Feststellungen sind völlig unabhängig von den behandelten Themen! Wie das geht? Lesen Sie selbst und lassen sie sich beeindrucken.

Titelbild

Jonathan Franzen: Weiter weg.
Übersetzt aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Wieland Freund, Dirk van Gunsteren und Eike Schönfeld.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013.
365 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498021320

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