Hirnverbrannt

Die SF-Autorin Heidrun Jänchen heißt die Lesenden auf Aurora willkommen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Idee eines Urlaubsparadieses, das sich als Hölle entpuppt, ist nicht sonderlich neu, zumal in der Science Fiction nicht. Heidrun Jänchen hat den tausend Varianten des Plots in ihrem jüngsten Band mit SF-Storys aber eine durchaus originelle hinzugefügt.

In der deutschsprachigen Science-Fiction-Szene ist die Autorin, deren neues Buch den einladenden Titel „Willkommen auf Aurora“ trägt, keine ganz Unbekannte. So wurde sie 2009 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Gemeinsam mit Armin Rößler und Dieter Schmitt betreut die Physikerin die Science-Fiction-Reihe des Wurdack-Verlags. Zu seinen AutorInnen zählen etwa Petra Hartmann, Regina Schleheck und eben auch Jänchen, die in die 17 Erzählungen ihres neuen Buches gerne mal das eine oder andere Bildungshäppchen, aber auch in ihrer steten Wiederholung doch recht ermüdende Flüche sowie diverse Zitate aus „der verdammten Bibel“ einflicht. Meist nimmt sie dabei die Erzählperspektive eines Angehörigen des anderen, also des männlichen Geschlechts ein. Möglicherweise ein Zugeständnis an das Publikum, gilt SF doch als Literatur für Jungs. Dazu passt auch, dass ein ums andere Mal eine Handvoll WissenschaftlerInnen mit einem Trupp Soldaten auf einem Planeten landet, um dessen Bodenschätze auszubeuten, wogegen die dort heimischen Aliens sich nicht selten einfallsreich zur Wehr zu setzen wissen. Auch das kennt man in der SF hinlänglich und zwar von Ursula LeGuins bekanntem Öko-Klassiker „Das Wort für Welt ist Wald“ bis hin zu James Camerons gegenüber LeGuins Buch wenig innovativem Film „Avatar“. Anders als bei LeGuin und Cameron werden die Aliens von Jänchen allerdings nicht ein Mal individualisiert – sieht man vielleicht von eine Nebenfigur ab, die es als Kellner versteht, die terranischen Gäste zu spendablen Trinkgeldern zu veranlassen.

Nur selten einmal sind Jänchens Varianten bekannter Plots so überraschend wie das Ende eines traumhaften Urlaub oder so originell wie die Idee, dass ein Neugeborenes gegen das Patentrecht verstößt, weil bei seiner obligaten medizinischen Untersuchung eine von einem Unternehmen entwickelte Gensequenz festgestellt wurde, die dazu dient, Mais vor einer bestimmten Erkrankung zu schützen. Das gibt dem Patentinhaber das Recht, über die „eventuelle Vernichtung“ des Säuglings zu bestimmten. Der Großkonzern entscheidet sich jedoch anders, was nicht eben zu seinem Vorteil gereicht.

Oft bewegen sich Jänchens Geschichten jedoch eher in recht bekannten Bahnen ihrem vorhersehbaren Ende entgegen. In „Elisa“ etwa verliebt sich ein Mann in ein gleichnamiges Computerprogramm, das er für die Mitarbeiterin des „Psychologischen Hilfsdienstes“ hält. Anders als er dürfte sich allerdings kaum ein Leser und sicher auch keine Leserin länger als eine Zeile über die wahre Identität der vermeintlichen Frau täuschen lassen. Überraschend an dieser Geschichte ist allenfalls, dass all die Geschlechterklischees, mit denen sie vollgestopft ist, überhaupt noch Raum für ein wenig Handlung lassen. Die Geschichten „Emotionale Intelligenz“ und „Seemanns Braut“ variieren die Idee von Anne McCarffreys Story „The Ship Who Sang“ aus dem Jahr 1961, während sich „Und dann die Stille“ mit hoch erhobenem Zeigefinger gegen die allgegenwärtige Belästigung durch Werbung wendet. Und in der titelstiftenden Erzählung berichtet die Autorin reichlich uninspiriert vom Angriff eines Stoßtrupps, der im Auftrag eines – natürlich skrupellosen – Konzerns auf einem Planeten zur Rohstoffsicherung unterwegs ist. Die ziemlich lahme Pointe der Geschichte ist, dass einer der Soldaten „der eine Scheißangst hatte, auf Kinder schießen zu müssen, von einem fünfjährigen Mädchen mit roten Zöpfen umgebracht“ wird.

Die Frauen in den Geschichten sind entweder Mütter – mit dem sprechenden Namen Maria – oder „aufregende Erscheinungen mit Kurven und langen dunkelblonden Haaren“, die sich als „blöde, intolerante Zicke ohne einen Funken Verstand“ beschimpfen lassen müssen. Sieht ein Mann eine solche „dunkelhaarige Schöne“, läuft er unweigerlich Gefahr, dass die „Instinkte aus dem Urwald“ angesichts der Femme Fatale „seine Eingeweide und sein Gehirn verbrennen“. Andere Frauen heißen Fee-Celina, sind „wieder einmal völlig aufgelöst“ und ansonsten „nicht das hellste Licht im Kronleuchter“. Doch auch das lässt sich noch toppen; dadurch nämlich, dass die Figur ein Prostituierten-Klischee erfüllt: „Fee hatte ein gutes Herz, nur auf ihr Hirn war kein Verlass“. Frauen argumentieren auch nur höchst selten, sondern geben lieber ungefiltert zum Besten, was ihnen gerade durchs Hirn rauscht, oder sie weinen, um ihr Ziel zu erreichen, wie etwa eine Staatsanwältin, die ein Plädoyer hält, „bei dem ihr die Stimme versagt, während Tränen über ihr Gesicht laufen“. Stattet die Autorin eine Frau aber doch einmal mit einer gehörigen Portion Scharfsinn aus, wird sie dafür prompt mit einer unweiblichen „knochigen“ Figur bestraft und muss sich als „Frau Hauptkommissar“ oder gar als „ganze Polizeidirektion“ apostrophieren lassen. So wird sie denn auch „nicht auf den Mund, nur auf die Wange“ geküsst. Als „Sachverständige“ sind Jänchens Frauenfiguren herzlos und beobachten ihre Mitmenschen wie „Versuchstiere“. Auch fehlen in Jänchens Weiblichkeitskabinett „zickige“ Frauen ebenso wenig wie solche, deren „Naivität“ einen Mann „beinahe rührt“. So ziemlich das beste, was sich da noch über eine weibliche Figur sagen lässt, ist, dass sie „keine Heulsuse“ ist.

Dass einmal eine Frau als Raumschiffpilotin auftreten darf, ist in Jänchens Erzähluniversum denn auch die große Ausnahme. „Nur etwa zehn Prozent der Unistar-Piloten sind Frauen, und die meisten davon mit Ehemännern im gleichen Schiff unterwegs.“ Eine der Ich-Erzählerinnen aber hat es tatsächlich bis zur Pilotin geschafft, ohne einen Ehemann an ihrer Seite zu haben. Prompt verliebt sie sich unglücklich in das männliche Raumschiff. Das lässt sie nackt durch seinen metallenen Körper rennen, liest ihr Pornos vor und beobachtet sie mit ihrem Einverständnis beim Masturbieren, während im umgekehrten Fall ein männlicher Pilot sein weibliches Raumschiff beschützt und rettet. Ansonsten haben sexistisch auftretende Männer gerne mal eine raue Schale, unter der sich natürlich ein weicher Kern verbirgt. Selbst die Metaphern der ohne größere literarästhetische Ambitionen erzählten Storys sind nicht eben frauenfreundlich. Langweilige Raumfahrtrouten gelten als „Großmutterstrecken“ und Neuigkeiten haben „sich im Lager schneller herumgesprochen als ein Wanderpuff.“ Immerhin lässt Jänchen gelegentlich einmal ein wenig Humor aufblitzen. „Was nützt mir meine blöde Intelligenz“, fragt sich eine der Protagonistinnen einmal.

Wirklich unterlaufen werden gängige Weiblichkeitsvorstellungen allerdings nur höchst selten. So lässt die Autorin etwa eine Frau angesichts einer enttäuschten Hoffnung auf Schwangerschaft in Tränen ausbrechen. Doch verbirgt sich dahinter keineswegs der weibliche ‚Schrei nach dem Kind‘, sondern „der gewöhnliche Wunsch“, endlich „aus der Lotterie aussteigen zu können, den sie mit drei Viertel der weiblichen Bevölkerung teilt“. Die Geburtenrate ist unaufhaltsam gesunken, was die Erzählinstanz wie selbstverständlich den „unfruchtbaren Frauen“ anlastet – ein großer Wermutstropfen in dieser ansonsten mehr als passablen Geschichte – und darum bekommen Frauen vierteljährlich einen neuen Partner zugeteilt, um festzustellen, ob sie mit ihm „kompatibel“ ist und sie zusammen Kinder bekommen können. Wie das zu der vermeintlichen Schuld der Frauen passt, wird nicht problematisiert.

Sehr wohl problematisiert wird hingegen, wieso nicht einfach männliches Sperma gemischt und Frauen per künstlicher Befruchtung zugeführt wird. Eine Frage, die sich auch die Protagonistin und ihre Freundin stellen. Denn dann hätten sie ihre Ruhe vor den fast ausnahmslos unangenehmen und lästigen Beischlafern. Die beiden Freundinnen haben dann allerdings auch eine Idee, warum das System all dies so und nicht anders organisiert hat.

So bleibt ihnen nur zu hoffen, endlich schwanger zu werden, ein Kind zu gebären „und den Rest des Lebens einfach zu tun, was man möchte.“ Das glaubt die Protagonistin jedenfalls, als sie eine von ihr beneidete junge Mutter sieht. Die aber klärt sie auf, dass sie seither und für alle Zeiten „an diesen Arsch gebunden“ ist, mit dem sie kompatibel ist, um eines nach dem anderen mindestens zwanzig Kinder zu gebären. „Ich werde den Rest meines Lebens schwanger sein. Toll, was?“

Im vorliegenden Buch aber sind nicht nur die Geschlechterrollen, sondern auch die Rollen von Gut und Böse (fast) immer ebenso klar wie konventionell verteilt. Letztere kommt vor allen diversen Großkonzernen zu, auf die kaum eine Geschichte verzichten möchte. Die Guten, das sind natürlich die widerständigen kleinen Leute, bei denen es sich auch schon mal um die Angehörigen eines Stoßtrupps Soldaten handeln kann. Sonderlich unterhaltsam ist dieser voraussehbare Manichäismus auf Dauer nicht.

„Slomo“ allerdings ist eine der wenigen Ausnahmen, die auf eindeutige moralische Antworten verzichten und eine gewisse Ambivalenz bieten. Und „Zweivierteltakt, E-Moll“ ist sogar eine richtig gute Geschichte.

Titelbild

Heidrun Jänchen: Willkommen auf Aurora.
Wurdack Verlag, Nittendorf 2012.
317 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783938065808

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