Orks oder Goblins?

Das große Hobbit-Buch klärt alle Fragen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit. Nicht in einem feuchten, schmutzigen Loch, wo es nach Moder riecht und Wurstzipfel von den Wänden herabhängen, und auch nicht in einer trockenen, kahlen Sandgrube ohne Tische und Stühle, wo man sich zum Essen hinsetzen kann: Nein, das Loch war eine Hobbithöhle, und das heißt, es war sehr komfortabel.“

Der Satz, mit dem ein kleines Kinderbuch aus dem Jahr 1937 anfängt, ist inzwischen in England ein ebenso berühmter erster Satz wie zum Beispiel „Now is the winter of our discontent“ von William Shakespeare. Und mit einem Mal geht eine ganze Bilderwelt auf: Hobbit, Höhle. Da sieht man sofort auch die Filme von Peter Jackson vor sich, die riesige, aber doch recht niedrige Wohnung von Bilbo Beutlin, in der sich der Zauberer Gandalf immer wieder den Kopf anstößt, mit ihren runden Türen und bulläugigen Fenstern mitten im Auenland, einem grünen Idyll voller putziger kleiner Wesen mit Haaren auf den Füßen.

Es ist ein schönes Kinderbuch, das Tolkien damals ursprünglich für seine Kinder schrieb. Eine Abenteuergeschichte, eine Schatzsuche voller Bewährungsproben, eine Initiation, in der der Held entdeckt, dass noch sehr mehr viel in ihm steckt als er geglaubt hat. An jeder neuen Aufgabe wächst er. Schlägt sich nicht nur mit blöden Trollen, bösen Orks, misstrauischen Elben, einem seltsamen Geschöpf namens Gollum und dem Drachen Smaug herum, sondern setzt sich auch mit seinen Gefährten auseinander, die plötzlich gierig nach Gold werden. Mit einem Wort: Bilbo wird erwachsen und lernt, dass die Welt nicht immer so ist, wie wir zunächst denken. Dass sich die Freunde auch ändern können, dass mancher, wie Beorn, auch seine Gestalt wandeln kann.

Dazu ist es ein Buch voller Witz und Situationskomik, voller skurriler Gestalten, sodass man als Kind und junggebliebener Erwachsener gar nicht anders kann, als sich der Fantastik hinzugeben, in die fremden Welten von Auenland und Düsterwald einzutauchen und mit den Hobbits und Zwergen mitzuleben und mitzuleiden. An manchen Stellen ist es ein wenig zu einfach schwarzweiß, hier die Bösen, dort die Guten, gestaltet, aber davon kann man getrost absehen, das ist einfach genretypisch.

Passend zum Film ist jetzt die Übersetzung eines schönen Text- und Kommentarbands erschienen: „Das große Hobbit-Buch“ mit dem Text in der Übersetzung von Wolfgang Krege. Der englische Literaturwissenschaftler Douglas Anderson hat dafür viele Informationen zur Handlung, Personen und Schauplätzen zusammengetragen: So erfahren wir, dass der Name „Beutelsend“ von der Farm von Tolkiens Tante kommt, dass die „Orks“ erst „Goblins“ hießen und dass der Schweizer Kanton Wallis Vorbild für das Auenland war. Anderson beschreibt die Entstehungsgeschichte des Textes (und auch die späteren Änderungen, die Tolkien vornahm, damit der „Hobbit“ zum „Herrn der Ringe“ passt) ebenso wie Tolkiens Biografie und ihren Einfluss auf das Werk.

Ausführlich und detailliert referiert er eigentlich über alles, was mit dem Hobbit zu tun hat. So kommt auch der Brief zum Abdruck, den Tolkien an den deutschen Verlag geschickt hat, der 1938 eine Ausgabe plante, aber von ihm einen Ariernachweis forderte. Er geht auf mittelalterliche Gedichte, isländische Märchen und nordische Mythologien ein, zitiert seitenlang aus etymologischen und linguistischen Abhandlungen und erzählt auch Anekdoten, wie die von dem Kinderbuchpreis, den Tolkien 1938 bekam, 250 Dollar, mit denen seine Frau eine Arztrechnung bezahlte.

Eigentlich sind jetzt alle Fragen geklärt, bis auf die mit der plötzlich offenen Felsentür. Diese Erklärung, die in anderen Ausgaben stehen, fehlt hier leider. Dennoch: Jetzt kann man sich zurücklehnen, den schönen Text noch einmal lesen und dann ins Kino gehen. „Der Hobbit“, erster Teil. Mal sehen, wie da die eigenen inneren Bilder auf die von Peter Jackson zusammentreffen.

Titelbild

J. R. R. Tolkien: Das große Hobbit-Buch. Der komplette Text mit Kommentaren und Bildern.
Herausgegeben von Douglas A. Anderson.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012.
418 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783608937145

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