Tijuana, Mexico

Michel Foucault als Medientheoretiker?

Von Reiner NiehoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Reiner Niehoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Dashiell Hammetts Erzählung „The Golden Horsehoe“ von 1924 inszeniert der listige Detektiv-Erzähler in einer Bar in Tijuana, Mexiko eine gefakete Gegenüberstellung von angeblichen Zeugen mit einem mutmaßlichen Auftragskiller. Bei der Durchführung dieses provokativ-behavioristischen Black-Box-Verfahrens – Hammetts Markenzeichen – findet der Versuchsleiter allerdings noch genügend Zeit, seine Augen ein wenig auf Raumerkundung zu schicken. Dabei fällt sein Blick auf ein Schild hinter der Bar-Theke, das ihm in Versalien versichert: HIER WERDEN NUR ECHTE AMERIKANISCHE UND BRITISCHE VORKRIEGS-WHISKYS AUSGESCHENKT – eine Auskunft, die den Erzähler zu einer kleinen abschweifenden Gedanken-Operation ermuntert. Sie lautet: „Ich versuchte zu zählen, wieviele Lügen sich in diesen neun Worten verbargen und war bis auf vier gekommen – mit Aussicht auf noch mehr –, als“ und so weiter, Ende der Digression, Fortführung des detektivischen Versuchs.

Diese dezente Szene würde sich ganz ähnlich in den Räumlichkeiten des Suhrkamp Verlages in Berlin, Pappellallee 78-79, abspielen können, wenn hinter der mutmaßlichen Hausapotheke eine Inschrift eingraviert wäre, die da lautete: MICHEL FOUCAULT – SCHRIFTEN ZUR MEDIENTHEORIE; eine detektivische Nebenrecherche in Sachen Falschaussagen würde leicht auf eine ähnliche Unwahrheits-Bezifferung kommen, wie sie Hammetts Continental-Mitarbeiter veranschlagt.

Denn zunächst handelt es sich bei dem Druckwerk, das sich tatsächlich hinter dieser Foucault-Insignie verbirgt, keineswegs nur um „Schriften“, sofern das Wort Sinn ergeben und also intentional Niedergeschriebenes meinen soll, sondern auch um Gespräche, Interviews und Ansprachen, gerne vor Galerie-Publikum. Zweitens lässt sich Foucault nicht zu „Medien“ vernehmen, sofern das Wort Sinn ergeben soll, sondern zu Bildwerken, Malern, Kinofilmen, Büchern und zur Philosophie. Dass bisweilen das Wort „Fernsehen“ fällt oder in einem Gespräch zwischenhin über die Frage erlaubter oder indizierter Bilder in Japan nachgedacht wird („Ich kann nichts über das Problem der in Japan verbotenen oder tolerierten Bilder sagen…“), will sicher niemand ernsthaft als Medienreflexion ausgeben und einschenken wollen. Drittens geht es in diesen Texten weitgehend auch nicht um Theorie, sofern das Wort Sinn ergeben soll, sondern um die konkrete Interpretation konkreter Kunstwerke, die Foucault so ansatzlos eigenweltlich zu leisten vermochte. Dass sich viertens bei dieser Theorie, die es nicht ist, von „Medientheorie“, sofern das Wort Sinn ergeben soll, reden ließe, wird sich aufgrund des nicht vorhandenen Gegenstands „Medien“ und der nicht vorhandenen Meta-Ebene der theoretischen Reflexion auf einen nicht vorhandenen Gegenstand recht logisch von sich selbst aus verbieten.

Ob endlich fünftens einem solchen Titel der Autor „Michel Foucault“, sofern dieser Name Sinn ergeben soll, zugeordnet werden kann, ist natürlich höchst fragwürdig, zumal schon der erste Satz des kleinen eingedruckten Waschzettels vis-à-vis des Haupttitels dem überraschten Inschriften-Entschlüssler verkündet: „Michel Foucault war Philosoph und Historiker, Begründer einer bestimmten Spielart der Diskursanalyse, aber kein Medienwissenschaftler“, und das Herausgebernachwort mit den glasklaren vier ersten Wörtern aufwartet: „Foucault war kein Medienwissenschaftler“ – er kann also das vorliegende Buch weder verfasst noch intendiert haben.

„Das“ etwas unspezifische „Gros“ dieser Nichttexte zur Medientheorie (37, sofern ich richtig gezählt habe) sind den „Dits et écrits“ entnommen, die auf Deutsch vor Zeiten ebenfalls bei Suhrkamp unter dem verkürzten Titel „Schriften I-IV“ erschienen sind; zwei Texte waren zuvor andernorts publiziert. Wer frisch Destilliertes erwartet, wird enttäuscht. Auf Spiegelreflexe, Repulsiv-Effekte und Temporal-Quergänge, wie man sie früher aus cleveren Kleinodsammlungen wie etwa dem „Pfahl“ kannte, verzichtet die Ausgabe. Sie klassifiziert lediglich dezent nach Kategorien wie „Diskurs“, „Malerei / Photographie“, „Kino“, „Information“, „Medienmacht“; ein Text fungiert als Vorwort, ein letzter als „Coda“. In sich geordnet sind die Texte dann schlicht chronologisch, die ich trotzdem gerne wiedergelesen habe und deren Titelei hinter der Redaktionsbar der verdienstvollen Suhrkamp’schen Philosophieabteilung ohne Zweifel ihren Ehrenplatz verdient hat.

Titelbild

Michel Foucault: Schriften zur Medientheorie.
Ausgewählt von Bernhard J. Dotzler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
334 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783518296363

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