Eine Fülle von Wissens- und Bildungsstoff

Mit dem dritten Band schließt Lothar Mundt die Abteilung Dramen der historisch-kritischen Lohenstein-Edition ab

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Homepage der historisch-kritischen Lohenstein-Edition (herausgegeben von Lothar Mundt, Wolfgang Neuber und Thomas Rahn) verrät dem interessierten Leser in geradezu unschuldiger Knappheit Folgendes über ihren Gegenstand: „Der schlesische Dichter Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) gehört neben Gryphius zu den bedeutendsten Autoren des deutschen Barock. Er war Anwalt, Gesandter und Kaiserlicher Rat und verfasste zahlreiche kunstvolle Tragödien sowie – als Hauptwerk – den groß angelegten, jedoch unvollendeten Roman Arminius, der als Schlüsselroman über die gesellschaftliche und politische Situation im Deutschen Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg gilt. Lohensteins Werke versammeln stets eine Fülle von Wissens- und Bildungsstoff und zeichnen sich durch grelle Effekte und bewegte Handlungsverläufe im Stil des Barocktheaters aus.“

Gerade diese „Fülle von Wissens- und Bildungsstoff“ ist es, die aus der Ausgabe der Dramen ein Mammutprojekt macht. Die vollständige Rückverfolgung von Lohensteins Quellen und die Übersetzung sämtlicher fremdsprachiger Zitate allein ist schon eine gewaltige Aufgabe. Dass Lothar Mundt sie als Erarbeiter und Herausgeber der Dramen so bravourös gelöst hat, verdient Hochachtung.

Die zweite, sich den ,kunstvollen Tragödien‘ widmende Abteilung dieser Edition findet mit dem nun erschienenen dritten Band einen bewundernswerten Abschluss. Viel Lob ist in den letzten Jahren ausgesprochen worden, auch an diesem Ort (vgl. Arnd Beises Rezension „Schauplatz grausamer Laster“ in Ausgabe 4/2006); der harschen Kritik Pierre Béhars (2010 im Literaturwissenschaflichen Jahrbuch) ist Mundt souverän begegnet (ebd., im Folgejahr). Viel Lob muss auch jetzt ausgesprochen werden, hat sich doch Hartmut Laufhüttes Erwartung, die Bände II.3.1 und II.3.2 würden „in gleicher Qualität der Textdarbietung und Kommentierung erscheinen“, vollauf erfüllt. Der Herausgeber ist den bewährten Prinzipien treu geblieben, und der Leser kann sich erneut auf dessen ausgezeichnete Vorarbeit verlassen.

Der Band liefert die zuletzt erschienenen Dramen Lohensteins: „Ibrahim Sultan“ und „Sophonisbe“. Ergänzt werden diese durch „zwei Besonderheiten“, wie Mundt im Vorwort schreibt, „die der Forschung, wie wir hoffen, willkommen und von Nutzen sein werden“. Das sind einmal die editio princeps der Autografen zum „Ibrahim Sultan“ (Breslauer Handschrift R. 3156) und sodann „ein Gesamtregister der in allen Dramen Lohensteins vorkommenden Namen historischer und mythischer Personen- und Völkernamen und geographischen Bezeichnungen.“ Für die Handschriftenedition konnte Mundt dabei auf Vorarbeiten aus dem Nachlass Gerhard Spellerbergs zurückgreifen, mit dessen Plänen einer Auswahlausgabe die Edition bekanntlich ihren Anfang nahm.

Den Dramentexten in II.3.1 gehen jeweils Reproduktionen des Titelkupfers und des Titelblattes voran. Warum bei der sonst an den Tag gelegten Gründlichkeit darauf verzichtet wurde, das Titelblatt des „Ibrahim Sultan“ in Farbe zu reproduzieren, um so die in rot hervorgehobenen Bestandteile kenntlich zu machen, ist, schon angesichts des irrwitzigen Preises, nicht ganz nachvollziehbar. Mundt verweist allerdings selbst auf die von ihm benutzten digitalisierten Exemplare der Anna Amalia Bibliothek, die über das Verzeichnis der Klassik Stiftung Weimar frei einsehbar sind und somit die hier fehlenden Informationen nachliefern können.

Grundlage für den „Ibrahim Sultan“ ist die zweite, überarbeitete Ausgabe von 1679 (B). Wie in der Edition üblich ist der Apparat am Seitenende in Emendationen (oben) und Lesarten der übrigen Ausgaben (unten) unterteilt. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die „Sophonisbe“, der der Erstdruck von 1680 zugrunde gelegt wurde. Mundt emendiert grundsätzlich sehr zurückhaltend und bedacht. In Fällen, bei denen der Eingriff nicht direkt nachvollziehbar ist, wird die Entscheidung im Kommentar diskutiert (etwa für Vers 121 des Widmungsgedichts der „Sophonisbe“).

Im Anschluss an die Dramen folgen Lohensteins eigene „Anmerckungen“, wiederum im Paralleldruck, der links den Originaltext bietet und rechts die Quellenangaben und fremdsprachigen Zitate aufschlüsselt. Die hier geleistete Arbeit bestätigt wiederum den Wert dieser Ausgabe. Ergänzt wird sie durch die „Autoren- und Werkliste“ im zweiten Teilband, die alle von Lohenstein zitierten Titel anführt, wie auch die innerhalb der Zitate referierten Werke. Erneut hat sich der Herausgeber die Mühe gemacht, auch die nicht von Lohenstein kenntlich gemachten Quellen aufzuspüren und in die Liste aufzunehmen. Entstanden ist so eine für die Forschung enorm hilfreiche Bibliografie von etwas mehr als sechzig Seiten, die sogar jene Ausgaben kennzeichnet, die Lohenstein bei der Arbeit höchstwahrscheinlich zur Verfügung standen.

Dem „Ibrahim Sultan“ nebst „Anmerckungen“ ist die „Diplomatische Abschrift der Textstücke zum ,Ibrahim Sultan‘ in der Handschrift R. 3156 der Universitätsbibliothek Wrocław“ angefügt. Man kann sie getrost als wertvollsten Teil des vorliegenden Bandes betrachten, macht sie doch der breiten Forschung die einzigen Handschriften Lohensteins aus dem Kontext seiner Dramenproduktion nun zugänglich. Mundt unterteilt das Konvolut in die Teile A, B und C: „Teil A umfasst 19 Blätter mit eigenhändigen, meist durchkorrigierten Entwürfen und Niederschriften Lohensteins zu verschiedenen Partien des ,Ibrahim Sultan‘, auch solchen, die nicht in die Druckfassung eingegangen sind. […] Teil B ist ein Brief Lohensteins […] an Hoffmannswaldau vom 4. Oktober 1669“, Teil C schließlich enthält die Reinschrift des Gedichts „Reine Liebe“ und einige „Notizen aus der Zeit nach Lohensteins Tod“. Im Einzelnen enthalten die Textstücke etwa eine Inhaltsangabe (die für die Drucklegung dann nochmal überarbeitet wurde), Teile der Widmung, Fragmente der Abhandlungen I, III, IV und V, und Teile der „Anmerckungen“.

Den offenkundigsten Nutzen der Handschriftenedition betont Mundt selbst im Editionsbericht: Zumindest die Konzeption des Trauerspiels lässt sich anhand der Inhaltsangabe auf die Hochzeit des österreichischen Kaisers Leopold mit Margarita Teresa 1666 datieren. Zudem muss die Inhaltsangabe vor den übrigen Textteilen geschrieben worden sein, da zwei Personen (Kiosem und Bectas) in der ersten Fassung noch andere Namen trugen (Roxane beziehungsweise Abdalla), die in den übrigen Stücken nicht mehr auftauchen. Mundt hält fest, „daß angesichts der Heterogenität der Bestandteile des Konvoluts eine für alle diese Bestandteile gültige Datierung des terminus post quem der Niederschrift nicht zu fixieren ist. Für mich weisen viele Indizien darauf hin, daß es sich um Textstücke einer alten Fassung des Manuskripts des ,Ibrahim Sultan‘ handelt […], die bei der Anfertigung der Reinschrift benutzt wurden, die der Erstausgabe des Jahres 1673 als Satzvorlage gedient hat.“

An die „Sophonisbe“ schließt sich noch das dazugehörige Szenar von 1669 an (wie auch bei den vorigen Bänden). Der folgende Editionsbericht informiert über die Überlieferung der Dramen, beschreibt und datiert die Handschriften, verweist hinsichtlich der Textredaktion auf die Ausführungen in Band II und liefert auch die „Transkriptionsregeln“ für die Handschrift, die darauf gründen, den Text „unverändert“ wiederzugeben. Auch die die Beschaffenheit des Textes verdeutlichenden Zeichen werden ausgewiesen (sie erlauben dem Benutzer auf den ersten Blick den Nachvollzug der meisten Textstadien). Den ersten Teilband beschließt endlich ein Bildanhang, der neben Abbildungen einiger Seiten der Druckfassungen auch vier Seiten der Handschrift wiedergibt.

Der zweite Teilband beginnt mit dem Kommentarteil; dem Grundsatz, einen „überdurchschnittlich belesenen, motivierten und lernwilligen Studenten“ zu adressieren, ist der Herausgeber auch hier treu geblieben. Entsprechend dürfte mancher Benutzer die eine oder andere Erläuterung überflüssig finden, im Ganzen betrachtet leistet er aber das Erforderliche – und was soll verkehrt daran sein, auch dem frühneuzeitlich interessierten Studenten den Zugang zu Lohensteins durchaus anspruchsvollem Werk zu ermöglichen?

Auf den Kommentar folgt das schon erwähnte „Autoren- und Werkverzeichnis zu Lohensteins Anmerkungen im ,Ibrahim Sultan‘ und in der ,Sophonisbe‘“, dasnatürlich auch die von Mundt für die Aufschlüsselung benutzten Nachschlagewerke aufführt. Ein Literaturverzeichnis von sechsundzwanzig Seiten liefert eine gute und umfangreiche Bibliografie nicht nur der Literatur zu den hier wiedergegebenen Texten. Den Abschluss des Bandes und der Abteilung bildet schließlich das ebenfalls bereits angesprochene „Gesamtregister der Abteilung Dramen“, das auf über dreißig Seiten die von Lohenstein erwähnten oder in seinen Stücken agierenden historischen und mythischen Personen und Orte auflistet – die Nützlichkeit dieses Registers für die Forschung muss nicht erst erwähnt werden.

Ist an diesem Band etwas auszusetzen? Nicht, wenn man nicht haarspalterisch werden will. Über den Preis kann man freilich nur den Kopf schütteln – nicht nur der ,lernwillige Student‘ wird hier von der Berührung mit Lohenstein abgeschreckt werden. Davon abgesehen aber zeigt die Berliner Lohenstein-Ausgabe, wie eine durchdachte historisch-kritische Edition eines Dichters der Frühen Neuzeit funktionieren kann – ein Umstand, an dem auch die in jeder Rezension auftauchende Diskussion des Verzichts auf den Frakturdruck nichts ändern kann.

Der Editionsplan auf der Homepage der Forschungsstelle Frühe Neuzeit der FU Berlin gibt an, dass die Ausgabe 2020 abgeschlossen werden soll. Von den fünfundzwanzig geplanten Teilbänden sind nun die sechs der zweiten Abteilung erschienen – in einem Zeitraum von acht Jahren. In den kommenden sieben die restlichen neunzehn herauszugeben, ist also ein ehrgeiziges Unterfangen. Zu hoffen ist, dass auch die Abteilungen I (Lyrik), III („Arminius“), IV (Kleinere Prosa), V (Übersetzungen) und VI (Briefe, amtliche Schriften, Lebensdokumente, historische Dokumente zur Wirkungsgeschichte) den von Mundt gesetzten Standard halten werden und die Mustergültigkeit dieser Edition untermauern können. Sowohl dem Dichter als auch der Forschung ist dies zu wünschen.

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Daniel Casper von Lohenstein: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abteilung II: Dramen, Band 3: Ibrahim Sultan - Sophonisbe. Teilband 1: Text, Teilband 2: Kommentar.
Herausgegeben von Lothar Mundt.
De Gruyter, Berlin 2013.
1182 Seiten, 499,00 EUR.
ISBN-13: 9783110290431

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