Von Liebhabern und ihren Obsessionen

Alberto Manguels Kurzromane handeln von der Liebe zum Detail und der Erinnerung an die argentinische Militärdiktatur

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Band „Zwei Liebhaber des Schattens“ des argentinisch-kanadischen Autors Alberto Manguel vereint die beiden Kurzromane „Ein allzu penibler Liebhaber“ und „Die Rückkehr“. Die beiden Romane verbindet nicht viel, doch in beiden Fällen handelt es sich um die Geschichte zweier Liebhaber und einer obsessiven Suche.

Alberto Manguel, der in Israel und Argentinien aufwuchs und kanadischer Staatsbürger ist, hatte die Ehre, ein Vorleser Borges‘ zu sein. Vor allem für „Eine Geschichte des Lesens“ (1998) erhielt er viel Aufmerksamkeit und Lob. Das in zahlreiche Sprachen übersetzte und 1998 mit dem Prix Médicis ausgezeichnete Buch zählt heute als Standardwerk. Manguel, der in mehreren Sprachen und Ländern zu Hause ist und außerdem in Buenos Aires, Paris, Mailand, London und Toronto als Verlagslektor, Literaturdozent und Übersetzer tätig war, wird als Universalgelehrter und als begnadeter Autor gefeiert.

„Ein allzu penibler Liebhaber“ spielt während des Ersten Weltkriegs in Poitiers. Anatole Vasanpeine, der als Bademeister arbeitet, beobachtet in voyeuristischer Manier die Badegäste, dank einiger Risse in der Holztür der Kabine. Doch ist er kein Voyeur im klassischen Sinne, denn Vasanpeine interessieren nur Ausschnitte, nie die ganze Gestalt, wie er in seinem Tagebuch festhält: „War es ein Ellenbogen? War es ein schmales Knie? War es ein Teil jener verborgenen Anatomie, für die ich keinen Namen habe? Es war mir einerlei. Alles, was zählte, war die Betrachtung dieses herrlichen Häppchens errötender Haut, geschrubbt von energischer Hand , unter dem Wasser glänzend wie der Bauch eines frisch gefangenen Fisches.“ Später bedient er sich einer Kamera, „um den flüchtigen Anblick der Liebe mittels der Festigkeit von Kristallen, Gelatine und Papier zu fixieren“ und für die Ewigkeit zu konservieren, verbrennt jedoch am Ende die Fotografien. Als er sich in eine kleine kugelförmige, schlurfende „Gestalt“ – diese wird bewusst asexuell beschrieben – verliebt, verfolgt er diese mit seiner Kamera durch die ganze Stadt. Aus dem Detail wird hier schließlich etwas Ganzes, das so kugelförmig ist, dass sich kaum Körperteile unterscheiden lassen. Die Faszination für das Detail klingt bereits zu Beginn des Romans an: Eine detaillierte Beschreibung der Stadt Poitiers verweist auf die obsessive Liebe des Protagonisten zu diversen Körperdetails des Protagonisten.

Wie Manguel in seiner Nachbemerkung erklärt, entstand „Ein allzu penibler Liebhaber“ auf eine Anregung seines brasilianischen Verlegers, einen erotischen Roman zu schreiben. Manguel entschied sich stattdessen, „einen Schein-Essay zu verfassen, der sich über sein eigenes Experiment lustig macht.“ Mit diesem Hintergrund wird klar, warum der Roman mit Fußnoten und Verweisen gespickt ist, die sich aber als Fälschungen entpuppen. Was wahrscheinlich als raffinierter Kunstgriff geplant war, ermüdet jedoch den Leser.  

Vasanpeine, dessen Name sich interessanterweise als „Va sans peine“ aber auch als „Vas en peine“ liest, wird wie eine prominente historische Persönlichkeit durch einen altklug wirkenden Erzähler („die Dichter lehren uns“, „an dieser Stelle möge man mir gestatten“) porträtiert. Den Eindruck von ironischer Verzerrung, also einer erotischen Satire, erhält der Leser nicht, vielmehr ist er von dem phasenweise sehr altbackenen Stil und dem Bestreben, den Eindruck von Wissenschaftlichkeit zu erwecken, irritiert. Die Erotik muss letztendlich der durch und durch unerotischen Geschichte einer Obsession weichen. Warum „Le Monde“ in diesem Roman ein „erotisches Meisterwerk“ zu erkennen meint, so steht es auf dem Buchrücken, ist völlig unverständlich.

Der zweite Roman schildert, wie der Titel bereits andeutet, die Rückkehr Néstor Andrés Fabris nach 30 Jahren nach Buenos Aires. Völlig übermüdet startet er einen Streifzug durch Buenos Aires, der kafkaeske Züge annimmt und sich als ein Albtraum entpuppt. Buenos Aires zeigt sich dem Jetlag gebeutelten Fabris als Stadt, die sich aus Menschenmassen und trostlosen Cafés zusammensetzt. Zufälligerweise trifft Fabris zahlreiche Bekannte wieder, sodass die Rückkehr zu einem Erinnerungstrip wird, der auch nicht vor den Spuren der Militärdiktatur haltmacht. Als er feststellt, dass seiner Bekannten Liliana zwei Finger fehlen (wohl als Folge eines Verhörs), ergreift er ungewollt die Flucht. Doch die Vergangenheit holt ihn ein. Als ein Bus vor ihm hält und ihn sein ehemaliger Professor fragt, ob er zusteigen will, werden die Bezüge zu Aeneas‘ Gang in die Unterwelt offensichtlich. Der groteske Bus hält schließlich an einem ebenso grotesken Ort, wo kleine Grüppchen von Menschen sitzen, singen und Gymnastik machen. In dieser Art von Kolonie, wo auch ein ehemaliger Militär untergekommen ist, erkennt Fabris „gewisse Klangfarben seiner Jugend“ und trifft endlich seine Jugendliebe Marta wieder. Im Buch seines Bus fahrenden Professors liest der am Ende seiner Suche angekommene Liebhaber schließlich: „Aus diesem Grund behaupte ich, dass die Vergangenheit lediglich eine Erfindung der Erinnerung ist, die nach Beständigkeit strebt und die wir für etwas Unveränderliches halten.“

Der Leser folgt Fabris gerne auf seiner Höllentour durch Buenos Aires, wenigstens lieber als Vasanpeines auf seiner teils quälenden Verfolgung durch Poitiers, doch beide Romane begeistern nicht, da helfen auch nicht die zahlreichen intertextuellen Anspielungen oder vom Autor explizit benannten literarischen Topoi.

Titelbild

Alberto Manguel: Zwei Liebhaber des Schattens. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013.
160 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100487551

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