Die Suche nach Glück in Zeiten des Schnees

John Burnsides Erzählband „Something Like Happy“

Von Alla SoummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alla Soumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

John Burnsides professionelle literarische Karriere begann mit Mitte Dreißig vergleichsweise spät. In den nachfolgenden zwei Jahrzehnten hat der zeitgenössische schottische Schriftsteller und Lyriker ein beachtliches Werk geschaffen, in dem Romane (bisher sieben an der Zahl), zwölf Gedichtbände, drei Bände mit Kurzgeschichten sowie zwei Autobiographien nebeneinander stehen – und das nicht bloß im statistischen Sinne: Die Wiederkehr von Themen (Einsamkeit, der Mangel an menschlichem Kontakt, das Aufbauen eines labilen, weniger privaten, denn intimen Glücks durch scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten und persönliche Rituale) und Motiven (geisterhaftes Verschwinden, Kälte, Dunkelheit… und darüber der Schleier des Geheimnisses) lassen in der Überformung durch eine lyrische, elegante Prosa von einer persönlichen, unverkennbaren Handschrift sprechen, die in einer persönlichen Mythologie, einer Weltsicht an der Grenze zum Magischen wurzelt. Burnsides Welt ist vertraut und unvertraut zugleich, bar jeder Hoffnung und doch hoffnungsvoll, in sich geschlossen und ineinander verwoben – über alle Gattungsgrenzen hinweg. Der hochprämierte Autor, der für seine jüngste Gedichtsammlung „Black Cat Bone“ (2011) mit gleich zwei renommierten britischen Lyrikpreisen, dem Forward Prize und dem T.S. Eliot Prize, dekoriert wurde, führt sein dichtes, meisterlich durchkomponiertes und atmosphärisch durchdrungenes Schreiben auch in seinem neuesten Erzählband fort.

In „Something Like Happy“ (2013) bietet uns Burnside durch alle Gesellschaftsschichten hindurch aus den unterschiedlichen Ecken Schottlands, von der Großstadt Dundee bis zum kleinsten Dorf, passend zum Jahr des Erscheinens 13 Kurzgeschichten, die sich in ihren thematischen und motivischen Spiegelungen, Variationen und Gegenbezügen zu einem einzigen atmosphärischen Sog hochpotenzieren, dem der Leser weder entrinnen kann noch soll. Im Zentrum des Strudels steht die Frage nach der Beschaffenheit und Möglichkeit des Glücks sowie die Suche danach in einer winterlichen Landschaft, die sowohl in Schottland als auch in Burnsides künstlerischem Universum zu situieren ist – die nächtliche Schneelandschaft aus Burnsides Roman „The Devil’s Footprints“ (2007) mit ihrer halbmagischen Ummantelung der vertrauten Welt wird hier fortgeführt.  

Gleich die erste, titelgebende Geschichte aus einer namenlosen tristen Arbeiterstadt bedarf der Umhüllung durch den Schnee für eine nur kurz währende Illusion der Schönheit und der allgemeinen Versöhnung:

„It snowed early this year: a freak blizzard, a beautiful anomaly. It was the kind of snow you see in films, white and perfect and deep, […] the people coming out of their houses in the morning or stopping on the high street to notice the light. For a while, it was as if the works didn’t exist; the snow just kept falling, white upon white upon white, and nothing was grey or smoky or tainted enough to leave a lasting stain. […] You could see the child in every face, a buried life rising to the surface, […] a childish sweetness returning to a dried-out voice. Everyone seemed happier…“.

Doch kann ein illusorische Idylle nicht von Dauer sein: Das Schmelzen des Schnees ertränkt die Fabrikgebäude in Matsch, und schon der nächste Schneesturm bringt statt des Trostes Eiseskälte:

„The week before Christmas, it snowed again. […] The snow was completely different now from the snow we’d had in November: back then, it had been all brightness and visible marks […] in the white turning to plum-blue and black as darkness fell, but this was dark from the first, a new variant of dark, a new form.  That first snow had been the snow in a film; this was the snow in a dream.
It was bitterly cold. I hadn’t noticed going out, but I felt it now, a pure cold seeping into my bones“.

In der zweiten, in Dundee spielenden Geschichte „Slut’s Hair“ bedarf es dagegen der Dunkelheit, um das urbane Grau dem Blick der Protagonistin, einer von Ehegewalt und Armut gebeutelten einfachen Frau, kurz zu entziehen: „Most of the time, it seemed grey and damp, but when it was just lights in the dark like this, it could be really beautiful. When you couldn’t see the people or the cars, it was almost peaceful, almost the life she had wanted“.

Unter dem Deckmantel des Schnees und/oder der Dunkelheit können jedoch auch Geheimnisse lauern – verstohlene menschliche Kontakte von der flüchtigen Begegnung („The Cold Outside“) bis zum Ehebruch („The Bell-Ringer“), von einem geheimen Sehnen nach Berührung noch im Schmerz („Perfect and Private Things“) bis zu aus Einsamkeit herrührenden Wahnvorstellungen wie dem Töten als einem Akt der Liebe („Roccolo“), dem metaphysischen Grauen vor dem imaginierten Anderen („The Deer Larder“) oder der wahnsinnigen Suche nach der im Schnee umgekommenen, untreuen Ehefrau im Schnee eines jeden neuen Jahres („The Future of the Snow“).

Wie ist es aber – zumal in einer so gezeichneten Welt – um das Glück bestellt? Das mit der menschlichen Existenz unlösbar verbundene Streben nach Glück muss (auch) in Burnsides Universum im Großen enttäuscht werden, um im Kleinen auf verstohlenen Umwegen kompensiert zu werden: in der semiromantischen Suche nach einem seltenen Vogel im Moor („Godwit“), in der Erinnerung an eine einzige Berührung („Sunburn“) oder einen einzigen Akt der Schönheit und der Güte („Peach Melba“), in der rituellen Inszenierung erotischer Phantasien („Perfect and Private Things“, „Roccolo“), der geordneten Einsamkeit als „the only real pleasure remaining“ („Perfect and Private Things“), in der Ruhe spendenden Monotonie der häuslichen Rituale – „mak[ing] tea, butter[ing] toast, not quite happy, if you want to talk about happiness, but not unhappy either“ („Something Like Happy“).

Nicht das Glück ist also möglich, sondern höchstens das Abwehren des Unglücklichseins? Geheime Trostmomente als ein blasser Abglanz des Glücks, ein „something like happy“? Bei genauerem Hinsehen versagt uns Burnside jedoch auch diesen für unser labiles emotionales Gleichgewicht nötigen Trost. Wie der in das Ich hinein führende Schnee („pure cold singling me out, isolating me“, „Something Like Happy“), wie das das Ich mit sich allein lassende Dunkel sind auch Augenblicke des Nichtunglücklichseins ein nur illusorischer, flüchtiger Trost: Die Enttäuschung vom Sein und vom Ich schleift sich auch im Alltag nicht ganz ab und bleibt „[a] pain that could not be ritualised“ („Perfect and Private Things“).

Dass das seine Figuren wie seine Leser einschließende atmosphärische Gewebe der existentiellen Hoffnungslosigkeit beim Prozess des Lesens einen unbestreitbaren ästhetischen Genuss bereitet, bildet ein weiteres Burnside’sches Geheimnis, ein Paradoxon, das in der meisterlichen Prosa des schottischen Erzählers zu suchen ist.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

John Burnside: Something Like Happy.
Jonathan Cape Ltd, London 2013.
256 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9780224097031

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