Die inneren Kämpfe
Saskia Hennig von Langes Roman „Zurück zum Feuer“ fehlt der Atem für die volle Distanz
Von Christopher Heil
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Präsens war unter Literaturwissenschaftlern wie Käte Hamburger und Harald Weinrich als fiktionales Tempus schier undenkbar – lange ist diese Sicht der Dinge her und vollkommen überholt, so denkt man. Aber auch Ulrich Greiner äußerte sich 2009 in einer Glosse noch polemisch und abfällig über die Tendenz, „dass die meisten jüngeren Autoren eine Vorliebe für das Präsens hegen“. Nun, warum eigentlich diese Skepsis und Verweigerung? Man sollte doch froh darüber sein, dass erzählend neue ästhetische Entwicklungen angestoßen werden. Wie gut dies in der Gegenwartsliteratur funktionieren kann, zeigen unter anderem die Texte von Thomas Stangl oder des in diesem Jahr mit dem Kleist-Preis ausgezeichneten Marcel Beyer.
Auch Saskia Hennig von Lange wählt für ihren Roman „Zurück zum Feuer“ das Präsens als Erzähltempus. Doch es gelingt ihr nicht vollends, die strenge ästhetische Vorgabe mit der Handlung um das Ehepaar Max und Inge, die den erst kürzlich geschehenen Unfalltod ihres erwachsenen Sohnes Raphael zu verkraften haben, mit den letzten Tagen des vereinsamten Max Schmeling zu verknüpfen. Es werden drei Erzählstränge aus unterschiedlichen Perspektiven miteinander verflochten und ganz fokussiert von den Gedanken der Figuren in einem kurzen Handlungszeitraum erzählt. All die inneren Kämpfe mit sich selbst und der Vergangenheit bekommen durch das Präsens eine besondere Schwere und Direktheit.
So auch zu Beginn bei dem Sachbearbeiter Max: Statt eine Auszeit nach Raphaels Tod zu nehmen, stürzt er sich wieder in die Arbeit und verdrängt alles Geschehene, denn es muss ja irgendwie weiter gehen. Einen lange hinausgeschobenen Bericht darüber, was mit Max Schmelings Haus knapp zehn Jahre nach dessen Tod geschehen soll, möchte er unbedingt noch an einem Freitagabend im November abschließen. Ein Projekt, von dem er schier besessen war und von dem er eigentlich abgezogen werden soll. Also alles schnell fertig machen – und dann? Ja, was soll folgen? Eine arg konstruierte Verkettung von Umständen lassen aus dem kurzen Bericht ein kleines „Abenteuer“ bis in die Sonntagmorgenstunden werden. Durch seine Verdrängung hat Max den Blick für die Realität verloren und sehnt sich nach einer Harmonie, die so nicht mehr besteht. Zu groß ist der persönliche Verlust für die Familie, ein Bruch, der aufgearbeitet werden müsste. Aber dazu bedarf es auch Entscheidungen – und Max gefällt es eben besonders, wenn er keine treffen muss und sich alles irgendwie von alleine fügt. Und genau hier durchziehen den Roman gewisse Längen: Max fragt sich, was er tun könnte, nimmt sich etwas vor, verwirft es sogleich und das Ganze beginnt wieder von vorne. Innere Konflikte werden zu langatmigen Passagen ausgedehnt, die die Zerrissenheit und Entscheidungslosigkeit überstrapazieren und ins Leere laufen lassen.
Parallel dazu wird von Inges Gedanken und Handeln in diesem Zeitraum erzählt: Sie will eine Veränderung nach Raphaels Tod, da sie ihr Leben, so wie es ist, einfach nicht mehr aushält. Sie räumt ganz radikal im Haus auf und weiß selbst nicht recht, wie sie mit dem unerwarteten Verschwinden von Max umgehen soll. Ein kompletter Bruch – also ohne ihn? Oder gemeinsam durch das persönliche Leid schreiten? Denn sie kennt Max doch besser als jeden anderen: Selbst bei dessen scheinbar nüchternem Betrachten der Leiche Raphaels hat sie „alle Gesten gesehen und alle Regungen, die du dir verboten hast, von denen du vielleicht gar nicht wusstest. Alles, was in dir tobte, habe ich gesehen in deinem Rücken und an dem Zucken deiner Schulterblätter, einem Zucken, an dem ein anderer Gleichgültigkeit abgelesen hätte.“ Diese eindringlichen und sensiblen Passagen werden so ungemein schön erzählt und lassen Hennig von Langes erzählerische Stärke aufblitzen.
In der dritten Handlungsebene will der altersschwache Max Schmeling in seinen letzten Tagen den anderen Teil der Geschichte festhalten, der nicht in den selbstgeschriebenen Büchern oder den Büchern über ihn steht. Etwas Persönliches soll es sein. Im Bewusstsein seines bevorstehenden Todes geht es bloß darum, „dass ich dieses Leben aushalte, so lange, bis es dann vorbei ist“. Trotzdem erinnert er sich und ruft sich beispielsweise ins Bewusstsein, dass er unter den Nazis den einfachen Weg ging: Das Nichtwissen „machte es ihm leichter“. So vereinsamt und verloren, wie sich Schmeling, bloß von einer Krankenschwester betreut, selbst fühlt, wirkt auch dieser Handlungsstrang in „Zurück zum Feuer“.
Schade eigentlich, denn beim Lesen der ersten Seiten und insbesondere von Inges Geschichte bekommt man die Intensität des Textes – auch durch die Wahl des Tempus bedingt – am eigenen Leibe zu spüren: Man fühlt sich direkt hineingezogen in die Geschichte, der Text lebt, atmet und entfaltet sich. Auch die Satzkaskaden, die der getriebene Max zu Beginn von sich gibt, heben seinen fast wahnhaften Zustand treffend hervor. Doch leider gelingt es nicht, die Erzählung, die handwerklich definitiv überzeugt, voranzutreiben. Viele Längen durchziehen die gelegentlich stagnierende Handlung. Gewiss: Die inneren Kämpfe mit der Vergangenheit, der Ehe, dem Tod geliebter Menschen, dem Anknüpfen an das Leben nach Schicksalsschlägen werden mitunter wunderbar feinfühlig dargestellt. Allerdings fehlt dem Roman der Atem, konstant über die volle Länge auf diesem Niveau zu bleiben.
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